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Einfühlsame Regisseurin «Den Stall ausmisten ist wie Yoga»

Julia Hölscher setzt in ihren Theater-Inszenierungen da an, wo gesellschaftliche Krisen beginnen: im Privaten, wo Menschen sich verlieren – und schweigen. Hineinzuhorchen in die Gesellschaft sei Aufgabe einer Regisseurin, sagt sie.

Filderstadt, Dresden, Frankfurt, Hannover, Düsseldorf, Magdeburg, Berlin, München, Freiburg, Oldenburg, Mainz, Bielefeld, Taschkent. All das sind Orte, an denen Julia Hölscher schon einmal ihre Zelte aufgeschlagen hatte. Und sie wieder eingepackt hat. Und weiter gezogen ist.

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Julia Hölscher, Regisseurin
aus Musik für einen Gast vom 16.04.2017. Bild: Sandra Then
abspielen. Laufzeit 1 Minute 2 Sekunden.

Ort für Ort wieder eine neue Heimat suchen – das ist für die meisten Theaterschaffenden eine Lebensaufgabe. Auch für Julia Hölscher. «Das ist eigentlich das Einzige, was mich an meinem Beruf stört», sagt sie: «Dass du Heimat immer wieder neu definieren musst.»

Die 38-Jährige versucht, sich selbst eine Heimat zu werden. Praktisch wäre es, denn sich selbst hat man ja immer dabei. Doch einfach ist es nicht.

Mit Sack und Pferd in die neue Heimat

Seit knapp zwei Jahren macht sie für einmal einen längeren Halt: Seit 2015 ist sie Hausregisseurin am Theater Basel. Zur Feier der Vertragsunterzeichnung hat sie sich einen neuen Kumpel zugelegt: ein eigenes Pferd.

So ist sie mit Sack und Pferd von ihrer letzten Station Hamburg hinunter ins südliche Baden gezügelt, nach Karsau bei Rheinfelden. Die Schweiz schied als Wohnort aus, denn: das Kontingent für die Einreise von Pferden war im Sommer 2015 schon erschöpft.

Zur Person

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Die Stuttgarterin Julia Hölscher studierte an der Theaterakademie Hamburg Regie. 2009-2013 war sie Hausregisseurin in Dresden, sie arbeitete am Schauspiel Hannover und Frankfurt sowie in München und Taschkent/Usbekistan. Die Verbindung ihrer musikalischen Ausbildung mit der Arbeit als Regisseurin führte dann zu Operninszenierungen.

Den Kindheitstraum vom Bauernhof erfüllt

Julia Hölscher hat aus der Not eine Tugend gemacht – und lebt nun so, wie sie es sich schon als Kind erträumt hat: auf einem Bauernhof. Doch: Wie kann eine Regisseurin alte Opern- und Theaterstoffe in unsere heutige Zeit adaptieren, wenn sie in dieser ländlichen Idylle lebt?

«Ja, das hier ist eine wahnsinnige Parallelwelt – aber das Theater ist genauso eine Parallelwelt», sagt sie. Und stimmt dennoch zu: «Die Stadt ist wichtig. Denn ich glaube, dass man in der Stadt noch am ehesten mitbekommt, was die Leute umtreibt.»

«Es tut gut, einfach mal den Stall auszumisten»

Auf ihren Reisen zu anderen Spielorten oder bei ihrer Arbeit als Dozentin an der Hochschule für Musik und Theater in Frankfurt saugt sie das Stadtleben in sich auf. Sie geniesst es, nach einem intensiven Probentag in Basel am Abend den Pferden einfach nur zuzusehen. «Sie erden mich unheimlich», sagt Julia Hölscher.

«Das Theaterleben ist voller Menschen, voller Emotionen, voller Überraschungen, jeden Tag neu, immer aufregend, immer existentiell, immer an der Grenze – und da tut es unheimlich gut, am Abend einfach mal den Stall auszumisten», sagt sie, und lacht: «Das ist wie Yoga!»

Überhaupt könnten wir viel lernen von den Tieren, ist Julia Hölscher überzeugt: «Pferde sind so sensible Tiere – sie spüren alles!», sagt sie. Einfühlsamkeit – in die historischen Figuren, in die aktuellen Debatten und in die Menschen um sie herum, die Schauspieler, die Zuschauerinnen – Einfühlsamkeit ist grundlegend für ihre Arbeit als Regisseurin. Eine Fähigkeit, die trainiert werden muss.

Mehr zu Julia Hölscher

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  • Julia Hölscher zu ihrer Arbeit am Theater Basel: «Ich will alles auf einmal».
  • Julia Hölscher und die Musikwissenschaftlerin Jenny Berg hören sich in der «Diskothek» Mozarts «Zauberflöte» an.

Sich in sich selbst einfühlen

Trainiert hat Julia Hölscher: an sich selbst. Sich in sich selbst einzufühlen und zu spüren, was sie kann und will, dazu hat sie manchen Umweg genommen. Sängerin, Filmregisseurin, Journalistin und Bäuerin war sie schon, Entwicklungshelferin, Radiomoderatorin und Fluglotsin auch.

Bei der Theaterregie ist sie geblieben – und ist damit äusserst erfolgreich. Denn wer Einblicke in so viele Lebensbereiche hatte, der inszeniert nicht innerhalb einer Parallelwelt, sondern bringt Geschichten voll starker Bilder auf die Bühne. Und bewegt seine Schauspielerinnen und Sänger dazu, sich jenseits ihrer eigenen Komfortzone zu zeigen.

«Wenn wir alle offen miteinander umgehen, uns zeigen in all unseren Stärken und Schwächen – dann ist Proben wie Tanzen», schwärmt Julia Hölscher. Dann kann ein Theater entstehen, das für sie gesellschaftsrelevant ist: weil es alle Aspekte des Menschseins auf die Bühne bringt – direkt und schonungslos.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Musik für einen Gast, 16.4.2017, 16.38 Uhr

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