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Szene aus Gespenstersonate in der Staatsoper im Schillertheater Berlin, Juni 2017.
Legende: Auf und rund um die Bühne sind die Rollen von Frauen und Männer klar verteilt, meint Darja Stocker. Imago/Martin Müller
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Debatte über Sexismus Einschüchtern und Schreien – die Spielregeln an Theaterschulen?

Die Schweizer Autorin Darja Stocker übt in einem Essay scharfe Kritik an einer Berliner Schreibschule – und befeuert damit die Debatte um Sexismus im Theaterbetrieb.

SRF: In Ihrem Essay schreiben Sie über Diskriminierung und Einschüchterung an einer Berliner Theaterhochschule. Über dem Text prangt eine Frage: «Und was hat das mit Sexismus zu tun?»

Darja Stocker: Die von mir geschilderte Zeit liegt nun viele Jahre zurück. Anfangs war ich nicht sicher, ob ich die dortigen Erlebnisse noch einmal erwähnen sollte. Ich wollte aber das Vergangene dokumentieren, weil untragbare Zustände so nicht rückwirkend, aber wohl in Zukunft verhindert werden können.

Viele dieser Zustände haben auf den ersten Blick wenig mit Sexismus zu tun. An der Schreibschule in Berlin gibt es ganz altmodische Formen von Unterdrückung: Einschüchterung, Anschreien, zuweilen auch Manipulation. Diese sind relativ einfach zu identifizieren.

Der Titel stellt diese Frage aber nicht nur in Bezug auf die Berliner Universität, sondern für den gesamten deutschsprachigen Theaterraum: seine Institute, Schreibschulen, aber auch die Theaterhäuser.

Welche Formen der Unterdrückung kommen im deutschsprachigen Theater vor?

Dort gibt es eine strukturelle und subtilere Form der Diskriminierung: Gewisse Personen tauchen im Theaterbetrieb gar nicht erst als Protagonisten auf.
Das Sagen hat eine Mehrheit an Männern über 40, aus bürgerlichem Umfeld und ohne Migrationshintergrund – die anderen sind einfach nicht da. Das betrifft auch die Frauen.

Was hat diese Abwesenheit für Folgen für den Theaterbetrieb?
Dadurch dass Frauen in Theaterinstitutionen kaum in Machtpositionen sind, wird über sie gesprochen, über sie geschrieben, werden sie inszeniert – aber es gibt nur wenige weibliche Sprechpositionen. Regisseurinnen, die auf Augenhöhe mit ihren Chefs kommunizieren, sind immer noch eine Minderheit.

Es geht mir nicht um böse Männer. Ich kritisiere vielmehr ein System, das einen bestimmten Typus für Machtpositionen vorsieht. Es ist dasselbe System, dass über Jahrzehnte fast nur Männer auf Preislisten gesetzt hat.

In dieser Hinsicht hinkt das Theater sogar neoliberalen Strukturen hinterher. Etwa Banken, die ihrerseits Strategien für Diversität entwickelt haben.

Welche Rolle spielen die Ausbildungsstätten in diesem Prozess?

Meine Utopie wäre, dass die Schule eine Türe öffnet für jene Menschen, die nicht von ihrer Familie her ins Künstlerdasein hineingewachsen sind. Es könnte ein Ort sein, wo man sich Gedanken über die Gesellschaft macht, in der man lebt.

Solange fast nur Männer in der Leitung der Schulen sind, findet davon nichts statt. Stattdessen hat man von Beginn an ein Machtgefälle. Man ist einem Willkürsystem unterworfen und kann mitspielen oder gehen.

Sie schildern drastische Vorfälle an der Schreibschule, Grenzüberschreitungen gegenüber Studenten. Sind dass nun Einzelfälle?

Ich dachte zuerst, dass ich ein Extrembeispiel erlebt habe. Es ist auch meine Perspektive, es kann sein, dass andere Studierende das anders wahrgenommen haben. Mittlerweile habe ich viele Zuschriften aus verschiedenen Hochschulen bekommen, wo solche Einschüchterungstaktiken ebenfalls praktiziert werden.

Gegenstimme

Eine Mitstudentin von Darja Stocker, Anne Rabe, hat unterdessen eine Gegendarstellung veröffentlicht.
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Über Sexismus und strukturelle Benachteiligung zu sprechen sei zwar wichtig, schreibt Rabe. Stockers Darstellungen des Studiums an der UdK widerspricht sie aber vehement.
Insbesondere kritisiert sie die Vorwürfe gegen zwei Dozenten, die sich aus Stockers Artikel leicht identifizieren lassen: Diese seien aus ihrer Sicht teilweise an den Haaren herbeigezogen oder schlicht falsch.
Auf diese Kritik hat Stocker mit einer Replik reagiert.
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Die Machtstrukturen gehen über die Uni hinaus: Während die Schulen bereits Leute vergraulen und abweisen, setzt sich das im Beruf fort. Schauspieler werden etwa auf rassistische oder sexistische Weise auf ihre Physiognomie reduziert und kommen nur für bestimmte Rollen in Frage. Etwa als «der Ausländer» oder «die Frau mit dem Kopftuch», und eben nicht als «der Architekt» oder «die Studentin».

Sind Sie in Ihrem Beruf als Theaterautorin mit solchen Stereotypen konfrontiert?

Die Ensembles der Häuser spiegeln meist nicht die Lebensrealität, in der ich mich befinde. Meinen Freundinnen und Teile meine Familie haben Wurzeln ausserhalb Europas oder kommen aus anderen Schichten.

Im Theater finde ich immer noch eine bürgerliche weisse Welt vor.

Im Theater finde ich jedoch immer noch eine bürgerliche weisse Welt vor, die, wenn es um Frauen geht, ein sehr klassisches Weiblichkeitsbild wiederholt. Dadurch bin ich als Autorin relativ eingeschränkt.

Inwiefern hat gerade das Hochschul-Umfeld das Potenzial, solche Strukturen zu verändern?

Die Hochschule kann Leute befähigen, ihre Geschichten zu erzählen. Also sollte man nicht sagen: Deine Geschichte interessiert uns nicht, oder interessiert den Markt nicht, weil es dafür keine passenden Schauspieler oder Strukturen gibt. Sondern man sollte sagen: Wir möchten wissen, was du zu erzählen hast und unterstützen dich dabei.

Mir schwebt eine Universität vor, die die Studenten ermutigt ihren eigenen Ideen zu vertrauen und sie umzusetzen. Eine Universität, an der Konflikte, die in der Gesellschaft stattfinden, aus verschiedenen Perspektiven diskutiert werden.

Aktuell schliessen sich Studierende zusammen, um über Sexismus an Schauspiel- und Schreibschulen zu debattieren. Was können sie bewirken?

Ich glaube, dass sich viele Dinge in den Details abspielen. Vorfälle, bei denen man erst denkt: Das ist lächerlich, ich ignoriere das. Aber das sind Verhaltensmuster, die zu Ausschluss, Diskriminierung und bei manchen Studenten zur Depression führen.

Eine Diskussion muss manchmal mit Protest erzwungen werden.

Ich denke, es geht darum, dass Studenten lernen, so etwas zu identifizieren. Und etwa sagen: Dieser Witz ist zwar altbacken und klischiert, aber er hat eine Wirkung. Da wurde jemand kleingemacht.

Es muss ja nicht darum gehen, Fronten aufzumachen. Aber ich glaube, es gibt Debatten, die nur mit Protest ins Zentrum rücken.

Das Gespräch führte Mirja Gabathuler.

Zur Person

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Zur Person
Legende: Keystone

Darja Stocker (*1983) hat 2006 - 2009 an der Berliner Universität der Künste (UdK) Szenisches Schreiben studiert. Als Autorin schrieb sie u.a. für das Theater Basel ihre Version der «Antigone» und war damit an den Autoren-Theatertage Berlin zu Gast.

Die Debatte

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Im Juli prangte die Gruppe «SOLO», Studierende des Literaturinstituts Hildesheim, den Sexismus ihrer Schule an, u.a. im Blog des Festivals «Prosanova». Sie traten damit eine Debatte los. Der Blog der deutschen Zeitschrift «Merkur» flankiert diese mit einer Reihe von Texten. Das Essay von Darja Stocker ist der jüngste davon.

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