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Film zur postfaktischen Ära Die Welt in den Griff kriegen wollen

Adam Curtis erklärt, was auf der Welt schief läuft. In seinen neuen Essayfilm «Hypernormalisation» packt er 20 Jahre Zeitgeschichte. Dafür räumte er das Film- und Fernseharchiv der BBC leer, verknüpfte und kommentierte alles, was er finden konnte.

Schaut man einen Adam-Curtis-Film, kommt man aus dem Staunen nicht heraus. Was erzählt er da? Welche Verbindungen stellt er her zwischen den verschiedensten Ereignissen des Weltgeschehens?

Banker regieren New York

Ein Beispiel: 1975 übernehmen laut Curtis die Banken die Finanzpolitik der Stadt New York. Die Stadt ist am Ende, überschuldet und abhängig von den Banken. Die Politiker haben aufgegeben. Von nun an regieren die Banker die Stadt.

Für Curtis ist das der Anfang einer Finanzpolitik, die bis heute in den USA andauert. Die Wall Street hat das Land im Griff.

Es kommt zum Showdown

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Legende: Youtube

Trailer zum Film «Hypernormalisation».

Zur gleichen Zeit in Syrien: Der US Aussenminister Henry Kissinger will die Macht der USA im Nahen Osten halten und trifft sich mit Hafiz Al-Assad, dem Vater des heutigen Herrschers Bashar al-Assad. Assad will die Position der arabischen Länder stärken und glaubt an die Lösung der Palästinenserfrage.

Doch es kommt zum Showdown. Die Amerikaner haben weder ein Interesse an den Palästinensern, noch an einer Stärkung der arabischen Welt. Sie wollen das Gleichgewicht der Mächte halten und bevorzugen einen zersplitterten Nahen Osten.

Selbstmordattentäter, ein Novum

Gemäss Curtis‘ Film radikalisiert sich Hafiz al-Assad und beginnt sich an den USA zu rächen. Nach dem Vorbild des politischen und religiösen Führers Chomeini setzt er als erster die brutale Waffe der Selbstmordattentäter gegen den Westen ein.

Im Libanon sterben 1983 über 200 Soldaten, nachdem zwei Selbstmordattentäter mit einem mit Dynamit vollgeladenen Lastwagen in einen US-amerikanischen Marinestützpunkt fahren. Es ist ein vehementer Rückschlag für die USA, mit der Konsequenz, dass Roland Reagan sich aus der Region zurückzieht.

Haarscharf an der Verschwörungstheorie vorbei

Wenn man Curtis Theorien zuhört – und es ist vor allem ein Zuhören, da Curtis Filme überwiegend aus Archivschnipsel mit Voice-Over bestehen – denkt man an 9/11. Denn was da am 11. September 2001 geschieht, scheint die logische Folge der 80er-Jahre zu sein.

Zum Regisseur

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Adam Curtis wurde 1955 in Grossbritannien geboren. Er hat in Oxford Humanwissenschaften studiert und ist bekannt für seine Essayfilme «Bitter Lake» (2015) und «Hypernormalization» (2016) und die Serie «The Trap: What Happened to Our Dream of Freedom» (2007).

Das ist die Stärke von Curtis Filmen. Obwohl er immer haarscharf an der Verschwörungstheorie vorbeischlittert, sind seine Thesen gut belegt und scheinen einleuchtend. Vor allem aber generieren sie ein Gefühl der Dringlichkeit, endlich das verstehen zu können, was niemand genau zu verstehen glaubt, nämlich den Gang der Welt.

Curtis bietet eine alternative Geschichtsschreibung an, jenseits offizieller Verlautbarungen, basierend auf erstaunlicher Recherche.

Die einfache Version der Welt

Nur seine Thesen sind oft sehr gewagt. So beruht der Begriff «Hypernormalisation» auf dem Glauben, dass die Politik schon längst aufgegeben hat, die Komplexität der Welt verstehen zu wollen und stattdessen eine vereinfachte Version der Welt heraufbeschwört.

Eine Art Fälschung, um damit umgehen zu können. So wie die Banker von New York 1975 nicht mehr die Komplexität einer Stadt berücksichtigten, sondern nur noch nach den einfachen Regeln des Marktes regierten.

Und am Ende kam Trump

Alle wissen zwar, dass es sich um eine vereinfachte Version handelt, doch niemand tut etwas dagegen. Den Begriff «Hypernormalisation» borgt sich Curtis von einem russischen Autor, der gegen Ende der Sowjet-Ära die Lebensbedingungen so beschreibt, dass allen klar ist, dass nichts mehr stimmt und doch tut jeder so, als ob das normal sei.

Curtis zieht seine These der «Hypernormalisation» weiter zu Präsident Putin, der bis heute sein Volk manipuliert. Er inszeniert Politik als Theater und entzieht so jeglicher Opposition den Boden unter den Füssen.

So ist es, gemäss Curtis, nicht erstaunlich, dass wir beim neuen US-Präsidenten Donald Trump landen, der nur das weiterverfolgt, was längst da ist. Nicht die Realität ist entscheidend, sondern nur das, was wir dafür halten und als normal empfinden.

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