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Schweizer Filmpreis «Es macht keinen Sinn, dass die Schweiz Hollywood imitiert»

Seraina Rohrer, Direktorin der Solothurner Filmtage, über den Zustand des Schweizer Films und warum man hierzulande auf Autorenfilme setzen sollte.

SRF: Diese Woche steht der Schweizer Filmpreis im Fokus. Da stellt sich die Frage: Wie geht es dem Schweizer Film?

Seraina Rohrer: Der Schweizer Film befindet sich auf einem kleinen Zwischenhoch. Die Branche ist euphorisiert durch die Césars und Oscar-Nominationen von «Ma vie de Courgette» und «La femme et le TGV». Und natürlich durch den erfolgreichen Start von «Die göttliche Ordnung».

Filmförderprogramm MEDIA

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MEDIA ist ein Programm zur Filmförderung in der EU. Es war wichtig für Produktion und Vertrieb von Schweizer Filmen in Europa. Seit Annahme der Masseneinwanderungsinitiative ist die Schweiz davon ausgeschlossen. Als Ersatz hat das Bundesamt für Kultur u.a. den Betrag für die Exportförderung von Schweizer Filmen verdoppelt: auf 0.5 Mio. jährlich.

Der Schweizer Film muss sich auch im Ausland beweisen. Und da sieht es nicht nur gut aus …

Das war in den letzten Jahren relativ harzig. Es gab zwar grosse Auftritte von Schweizer Filmen an Filmfestivals, aber durch den Ausschluss aus dem EU-Filmförderprogramm MEDIA (siehe Box) ergeben sich grosse strukturelle Bedenken. Dieses Problem ist nicht gelöst und beschäftigt uns.

Mit den Oscar-Nominationen und den Césars rückt jedoch das Schweizer Kino wieder stärker in den Fokus und bewirkt, dass auch ausländische Branchenexperten wieder vermehrt Schweizer Filme unter die Lupe nehmen.

Gibt es Strategien, wie man den Schweizer Film im Ausland populärer machen will – auch ohne Teil des Filmförderprogramms MEDIA zu sein?

Wenn es um die Verbreitung des Schweizer Films im Ausland – insbesondere im Kino – geht, dann haben wir immer noch keinen hinreichenden Ersatz. Das ist längerfristig ein Problem. Man ist weniger vernetzt und weniger Schweizer Filme werden in den ausländischen Kinos gezeigt.

Herausragende Filme haben eigentlich nie Schwierigkeiten, einen eigenen Weg zu finden.

Das heisst: Ohne Teil dieses Netzwerks zu sein, hat der Schweizer Film keine Chance im Ausland?

Die eine Möglichkeit ist, dass man in den nächsten Jahren bewusst auf Exzellenz setzt und diese auch fördert. Herausragende Filme haben eigentlich nie Schwierigkeiten, einen eigenen Weg zu finden.

Schwierig wird es bei den Filmen, bei denen man genauso gut einen gleichwertigen anderen europäischen Film hätte nehmen können.

Schweizer Kinojahr 2016

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Legende: Praesens

Techno im Gottesstaat und süsse Zucchini: Schweizer Filme berührten 2016 auf der ganzen Welt die Herzen der Menschen.

Die zweite Möglichkeit sind europäische Koproduktionen: Dass man gleich von Beginn an ein Projekt nicht nur schweizerisch aufstellt, sondern europäisch. Dadurch hat man dann Zugriff auf ein viel grösseres Netzwerk.

Welche Schweizer Filme waren in den letzten Jahren auch ohne Förderung erfolgreich?

«Dora oder Die sexuellen Neurosen unserer Eltern» ist ein gutes Beispiel. Regisseurin Stina Werenfels hat kein Geld aus der Schweiz bekommen. Sie hat aber einen Weg gefunden und mit dem Film auch einen internationalen Erfolg erzielt, insbesondere an der Berlinale. «Ma vie de Courgette» ist ein gutes Beispiel, das zeigt, dass Mut und Vernetzung zentral sind.

Zentral dabei ist, dass man sich getraut hat, auf einen Film zu setzten, von dem man überzeugt ist.

Die Schweiz hat eine lange Animationsfilm-Tradition. Aber bis anhin wurden vor allem Kurzfilme gemacht. Jetzt hat man gewagt, in ein grosses Projekt zu investieren und das hat funktioniert. Bei diesem Film gab es eine Zusammenarbeit mit Frankreich, aber zentral dabei ist, dass man sich getraut hat, auf einen Film zu setzen, von dem man überzeugt ist.

Auch «Chrieg» hatte europaweit Erfolg – weil der Regisseur Simon Jaquemet sich vernetzt hat und auf jeder Stufe alles gegeben hat. Aber das sind Ausnahmen. Das Ziel ist schon, wieder beim MEDIA-Abkommen dabei zu sein. Auch Exzellenz kann das nicht ersetzen.

Die Schweiz hat beschränkte Mittel. Es macht darum Sinn, dass man auf Autorenfilme setzt.

Zur Person

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Seraina Rohrer ist seit 2011 Direktorin der Solothurner Filmtage. Sie studierte Filmwissenschaft und Publizistik an der Universität Zürich und leitete mehrere Jahre das Pressebüro des Internationalen Filmfestivals von Locarno.

Gibt es ein konkretes Ziel, das der Schweizer Film erreichen soll?

Meine Meinung ist ganz klar: Die Schweiz hat beschränkte Mittel. Es macht darum Sinn, dass man auf Autorenfilme setzt. Auf Filme, die sehr persönliche Geschichten erzählen, eine eigene visuelle Form finden und sich auch in diesem Bereich verankern.

Ich denke es macht keinen Sinn, dass die Schweiz auf Genrefilme setzt und versucht, die grossen amerikanischen Formeln zu imitieren. Dafür haben wir zu wenig Mittel.

Als kleines Land können wir uns da ein Vorbild nehmen an Rumänien. Dem kleinen Land ist es gelungen, das Interesse an seinen Filmen zu wecken – weil man Autorinnen und Autoren aufgebaut hat und das Gefühl hatte: Die haben etwas zu erzählen.

Die Schweiz hat eine Autorentradition.

Also kein Schweizer Blockbuster in naher Zukunft?

Dafür sind unsere Mittel zu beschränkt. Trotzdem glaube ich, dass wir mit den Autorinnen und Autoren, die wir haben, ein breites Publikum mit Autorenfilmen erreichen können.

Die Schweiz hat eine Autorentradition. Ich denke hier zum Beispiel an Alain Tanner oder Claude Goretta, die es geschafft haben, sich weltweit einen Namen zu machen. Aber auch heute haben wir gute Leute in den Startpositionen. Leute, die etwas zu erzählen haben und gleichzeitig eine eigene filmische Form einsetzen.

Dann müsste es eigentlich doch auch viele gute Drehbücher geben …

Ganz wichtig ist, dass wir in der Schweiz verstärkt Drehbücher fördern. Im Verhältnis zu den realisierten Filmen haben wir wenig ausgearbeitete Drehbücher. Man hat den Anspruch, dass fast jedes Drehbuch auch umgesetzt wird. Und das ist falsch, denke ich. Man sollte auch Drehbücher schreiben können, die dann halt in einer Schublade landen und nicht verfilmt werden.

Das Gespräch führte Tom Hägler.

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