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Akte Grüninger
Aus 10 vor 10 vom 20.01.2014.
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Solothurner Filmtage «Akte Grüninger» – ein Glücksfall für die Solothurner Filmtage

«Akte Grüninger» erzählt die Geschichte des St. Galler Polizeikommandanten Paul Grüninger. Kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges nahm er trotz Grenzsperre Hunderte von jüdischen Flüchtlingen in seinem Kanton auf. Warum der Film trotz Schwächen ein idealer Eröffnungsfilm für die Filmtage ist.

«Akte Grüninger» ist für die Solothurner Filmtage ein beinahe idealer Eröffnungsfilm: Es ist eine Spielfilm-Uraufführung von einem Schweizer Regisseur. Kinostart von «Akte Grüninger» ist gleich im Anschluss an die Filmtage, was bedeutet, dass der Filmverleiher Disney den grössten Teil der Medienarbeit schon geleistet hat. Und der Film wurde ursprünglich von C-Films, SRF und Arte als Fernsehfilm konzipiert – das schliesst eine mögliche Publikumsüberforderung nicht völlig aus, minimiert aber doch das Risiko erheblich.

Der Fall Grüninger

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Der St. Galler Polizeikommandanten Paul Grüninger nahm kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges trotz schweizerischer Grenzsperre Hunderte von jüdischen Flüchtlingen auf. Kurz darauf wurde er fristlos entlassen. Diese Geschichte wurde medial schon mehrmals aufgegriffen – nicht immer zur Freude der Schweizer.

Die Grüninger-Debatte in der Schweiz

Vor allem aber ist der «Fall» Grüninger nur noch pseudobrisant. Ähnlich wie beim 2012 überaus erfolgreichen Film «Der Verdingbub» geht es auch in «Akte Grüninger» um ein einst kontroverses Thema, zu dem mittlerweile fast vollständige Einigkeit herrscht: um Paul Grüninger, den «Oskar Schindler von St. Gallen».

Aus dem Leben eines Helden

Regisseur Alain Gsponer wurde bekannt mit den beiden Martin-Suter-Verfilmungen «Lila Lila» und «Der letzte Weynfeldt». Für «Akte Grüninger» stützte er sich auf ein Drehbuch von Bernd Lange, der u.a. Hans-Christian Schmids «Der Sturm», «Requiem» und «Was bleibt» geschrieben hat.

Die Produktion bezeichnet das Filmprojekt als «klassisches Reenactment», als «filmische Aufarbeitung der von den Nazis systematisierten Verfolgung der Juden vor und während des Zweiten Weltkrieges» einerseits und andererseits als Personenporträt, einer «Momentaufnahme aus dem Leben eines Helden, der sich nie als Held gefühlt» habe.

Ein Held, der keiner sein wollte

Mit Stefan Kurt in der Rolle des Paul Grüninger steht dem Publikum eine Identifikationsfigur zur Verfügung, welche diese Eigenschaften bestens verkörpert, insbesondere die Aura des Helden, der keiner sein wollte. Und mit der Bündnerin Ursina Lardi im Film, als Ehefrau Alice Grüninger, setzt sich SRF diesmal auch weniger dem Vorwurf aus, die historische Rolle der Frauen zu unterschlagen, wie er zuletzt bei «Die Schweizer» ziemlich laut wurde.

Zwei Männer und eine Frau sitzen an einem Tisch in einem Büro.
Legende: Paul Grüninger (l., Stefan Kurt) und Sidney Dreifuss (m., Anatole Taubman) fälschen die Einreisepapiere einer Jüdin. SRF/Nikkol Rot

Aber dass «Akte Grüninger» ursprünglich als SRF-Fernsehfilm konzipiert worden ist, merkt man ihm deutlich an. Grüninger wird als stiller und zurückhaltender Held gezeichnet, als Mann, der seine Zweifel abgelegt hat. Das Drehbuch macht deutlich, dass sein Engagement auf Kosten seiner eigenen Familie geht, aber das ist mehr oder weniger die einzige Trübung der Figur. Kein Vergleich zu Spielbergs Oskar Schindler, der wenigstens in den ersten Minuten des Films als Profiteur und kühler Geschäftsmann gezeigt wurde.

Rundgeschliffenes Medienprodukt

Dass die Gut-Böse-Rollen einigermassen klar verteilt sind, klarer jedenfalls, als sie die historische Faktenlage vorgibt, macht den Film leichter konsumierbar, dafür auch weniger interessant. Ärgerlich sind die dokumentarischen Einschübe, welche fast wochenschaumässig didaktisch wirken. Aber letztlich läuft jede direkte Kritik an «Akte Grüninger» auf die unendliche Debatte zum Unterschied zwischen Fernsehfilm und Kinofilm hinaus.

Der Film «Akte Grüninger»

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«Akte Grüninger» wird am 23.1. als Eröffnungsfilm und am Montag 27.1. an den 49. Solothurner Filmtagen gezeigt. Ab 30. Januar läuft der Film in den Schweizer Kinos.

Als eigenständigen Autorenfilm kann man «Akte Grüninger» nicht bezeichnen, im Vergleich etwa zu Markus Imhoofs «Das Boot ist voll», mit dem sich der Filmemacher noch 1981 dem Vorwurf der «Nestbeschmutzung» ausgesetzt hatte, ist dieser Film mehrheitsfähig und konsensgetrimmt, ein Medienprodukt, das auf dem Weg seiner Entstehung einem Kiesel gleich schön rundgeschliffen wurde.

Für die 49. Solothurner Filmtage aber ist «Akte Grüninger» ein Glücksfall: Ein Film, der schon im Vorfeld zu reden und zu schreiben gab, ein Film, der sein Publikum nicht kalt lassen wird und der den bei der Eröffnung anwesenden Politikern die Chance bietet, nicht nur filmästhetische Gemeinplätze zu diktieren, sondern allenfalls auch den einen oder anderen politisch relevanten Satz darüber, wie voll oder wie aufnahmefähig denn das Boot heute sei.

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