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Umdenken nötig Antibiotika: Ein Dogma bröckelt

Unbedingt die ganze Packung Antibiotika aufbrauchen, wenn wir an einer Infektion leiden – so das jahrzehntelange Dogma der Ärzte. Doch viele Antibiotika werden zu lange verschrieben und das kann schädlich sein.

Das Wichtigste in Kürze:

  • Lieber auf der sicheren Seite sein: Ärzte verabreichen Antibiotika eher zu lange.
  • Je länger wir Antibiotika zu uns nehmen, desto grösser sei die Gefahr, dass die Bakterien resistent werden, so Allgemeinpraktiker Philippe Luchsinger.
  • Untersuchungen in verschiedenen europäischen Ländern zeigen, dass eine erhebliche Menge an Antibiotika unnötig verschrieben wird.

Wenn Antibiotika nötig sind, dann gleich eine ganze Packung. Wir schlucken sie zwei Wochen, auch wenn es uns eigentlich schon nach vier Tagen wieder besser geht.

«Das ist ein falsches Bild der antibiotischen Therapie», sagt Hansjakob Furrer, Infektiologe am Inselspital Bern und Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Infektiologie. «Das war ein Dogma, das viele Patienten gehört haben: Antibiotika möglichst lange nehmen, damit die Therapie sicher genügend lang ist.»

Umdenken in den Hausarztpraxen

Bei den Hausärzten scheint sich nun ein Gesinnungswandel anzubahnen, sagt Philippe Luchsinger, Allgemeinpraktiker und Präsident des Berufsverbandes der Haus- und Kinderärzte Schweiz. «Wir haben bemerkt, dass viele Infektionen keine langen Antibiotika-Behandlungen brauchen. Zum Beispiel die Lungenentzündung: Früher behandelten wir sie zwei Wochen. Heute wissen wir, es reichen oft schon fünf Tage.»

Fakten zu Antibiotikaresistenz

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  • Neue Weltseuche Antibiotika-Resistenzen? Die wichtigsten Fakten zum Thema.
  • Antibiotikaresistenz: «Der Bund ist zu zögerlich.» Ein Interview mit SRF-Wissenschaftsredaktorin Cathrin Caprez.
  • «Warum ist es so wichtig, dass ich die Antibiotika fertig nehme?». Prof. Martin Loessner und PD Dr. Urs Karrer beantworten Ihre Fragen zu hartnäckigen Infekten.

Ärzte wähnten sich lange auf der sicheren Seite, wenn Antibiotika eher zu lange verabreicht wurden. Denn als in den 1940er-Jahren erstmals ausreichend Antibiotika zur Verfügung standen, stellten Ärzte fest: Wer die Antibiotika zu früh absetzte, der konnte erneut an der Infektion erkranken und war dann schwieriger zu behandeln. Das Risiko, nicht alle Krankheitskeime zu erwischen, wollte man darum unbedingt vermeiden.

Risiko Antibiotikaresistenzen

Dadurch handelte man sich ein anderes Problem ein, sagt Philippe Luchsinger: «Je länger wir Antibiotika geben, desto grösser die Gefahr, dass die Bakterien lernen damit umzugehen, also resistent werden.»

Antibiotikaresistenzen – Krankheitskeime, die sich kaum oder gar nicht mehr mit Antibiotika behandeln lassen – waren früher vor allem ein Problem in den Spitälern. Dort kommen die verschiedensten Krankheitskeime zusammen und treffen auf geschwächte Patienten. Ideale Voraussetzungen dafür, dass sich widerstandsfähige, resistente Bakterien vermehren können.

Keine Antibiotika gegen Viren

Heute ist das anders: Resistente Keime treten zunehmend auch ausserhalb der Krankenhäuser auf. Hausärzte begegnen immer öfter Patienten mit Infektionen, die sich nicht mehr mit gängigen Antibiotika behandeln lassen. Wie die Resistenzen entstehen und sich verbreiten, daran wird intensiv geforscht. Und es finden sich immer mehr Hinweise darauf, dass kürzere Therapiedauern weniger Resistenzen verursachen.

Zwar gibt es nach wie vor Infektionen, die eine lange Antibiotika-Behandlung erfordern: Knochen-, Herzinfektionen oder Tuberkulose, zum Beispiel. Aber in vielen anderen Fällen können Antibiotika in Absprache mit dem Arzt schon früher abgesetzt werden, oder müssen gar nicht erst verschrieben werden.

Denn Untersuchungen in verschiedenen europäischen Ländern zeigen, dass eine erhebliche Menge an Antibiotika unnötigerweise verschrieben wird – zum Beispiel bei einer Erkältung, Fieber oder Grippe. Gegen Grippeviren aber nützt selbst eine warme Bettflasche mehr als ein Antibiotikum.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Wissenschaftsmagazin, 18.2.2017, 12:40 Uhr.

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