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Abstimmung über Kantonswechsel Bern oder Jura, das ist hier die Frage

«Sind wir Berner oder Jurassier?», fragt Gilles Strambini im Film «Der Jura tickt anders». Diese Frage dürfen die Einwohner Moutiers am Sonntag beantworten: Sie stimmen über einen Kantonswechsel ab. Einmal mehr.

Jeder, der sich mit dem Jura beschäftigt, wird sofort mit der Frage konfrontiert, welchen Jura er oder sie nun denn genau meint. Und tatsächlich: Da gibt es den Kanton Jura, den Berner Jura oder Südjura, das französische Département Jura, eine Firma, die früher vor allem für ihre Bügeleisen, heute für Kaffeemaschinen bekannt ist, und – den Roman «Jurassic Park» von Michael Crichton, den Steven Spielberg 1993 verfilmte.

Video
Le Jura, c’est quoi? Ein Stimmungsbild zur Identitätsfrage
Aus Kultur Extras vom 26.10.2013.
abspielen. Laufzeit 1 Minute 5 Sekunden.

Saurier als erste Jurassier

Herkunft und Zukunft

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Darüber diskutieren in einer Sternstunden-Spezialsendung die Politikwissenschaftlerin und Kulturveranstalterin Carine Zuber, der Schriftsteller Bernard Comment sowie der langjährige Tessiner Ständerat und Präsident der Interjurassischen Versammlung Dick Marty. Die Gründungsgeschichte des Kantons erzählt die Dokumentation von Bruno Bossart.

Tatsächlich haben sich Crichton und Spielberg – ob bewusst oder unbewusst – auf den Schweizer Jura bezogen: Alexander von Humboldt führte Ende des 18. Jahrhunderts den Begriff «Juragestein» für jenen in der Region vorherrschenden Kalk ein.

Später wurde der Begriff vom Chemiker und Geologen Alexandre Brongniart übernommen. Der Franzose war der erste Wissenschaftler, der die geologischen Anordnungen der tertiären Periode (also der Zeit vor 66,4 bis 1,6 Millionen Jahren) in chronologischer Reihenfolge ordnete und beschrieb. Nach und nach hat sich der Name der Region auch als Begriff für das Erdzeitalter durchgesetzt, also für das zweite System des Mesozoikums.

Da just in jenem Zeitalter pflanzenfressende Sauropoden und karnivore Theropoden durch Westeuropa stapften, war es nur folgerichtig, dass 2002 in der Ajoie erstmals Saurierspuren entdeckt wurden. Die Gegend um das heutige Porrentruy sah damals noch etwas anders aus als heute: ein sehr flacher und breiter Strand, den die Saurier benutzten, um den dichten Busch zu umgehen. Die Fussstapfen wurden daraufhin von Schlamm bedeckt und damit für die Ewigkeit konserviert.

Der unvorhergesehene Kanton

Gemessen an diesen Zeitdimensionen scheint die jüngere Geschichte des Juras, ja der Schweiz, eine periphere Angelegenheit. Und doch ist hier in den letzten Jahrzehnten Bemerkenswertes passiert: 1974 wurde mit dem positiven Resultat der Volksbefragung in der Region der Grundstein für den heutigen Kanton Jura gelegt.

1978 wurde er von den anderen Kantonen bestätigt und 1979 wurde der Jura als 23. Gliedstaat in die Schweizerische Eidgenossenschaft aufgenommen. Der Weg zur «République et Canton du Jura», wie sich der Kanton selbstbewusst nennt, war allerdings alles andere als einfach.

Kultur an der Peripherie

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Der Jura ist nur suboptimal erschlossen, verfügt aber über eine erstaunlich lebendige Kulturszene. Aus Not, sagen manche, denn bis heute hat der Kanton keine Kunstschule, kein Kunstmuseum und keine Universität. Die periphere Lage motiviert zur Selbsthilfe, meist in Freiwilligenarbeit sind hier viele Kulturinitiativen entstanden, wie ein Film zeigt.

Der Jura, der Berner Jura und das Laufental sind ehemalige Teilgebiete des Erzbistums Basel, das nach Jahren unklarer politischer Machtverhältnisse 1815 am Wiener Kongress dem Kanton Bern als Kompensation für die verlorenen Untertanengebiete in der Waadt und dem Oberaargau zugeschlagen wurde.

«Zwar ist der Jura weder Wunschkind noch machtpolitischer Zuwachs, aber besser ein Zipfel Land im Norden als gar nichts», kommentiert der ehemalige SRF-Korrespondent Bruno Bossart in seinem Film «Der Kanton Jura – von der Republik zur Revolte» die Tatsache, dass der Kanton Bern damals um ein paar Hügelzüge erweitert wurde.

«Le Jura aux Jurassiens!»

Die Bewohner dieser Hügelzüge, mehrheitlich katholisch und frankofon, wurden selbstverständlich nicht gefragt, welchen Herren sie künftig dienen wollten. Aber sie beklagten sich bald lautstark über veraltete Bahnverbindungen, schlechte Strassen und die Missachtung der frankofonen Minderheit an der Universität und in der Verwaltung. Der Ruf nach Selbstbestimmung – «Le Jura aux Jurassiens!» – war eine logische Folge.

Nach Jahrzehnten wachsender Spannungen, diverser Gewaltakte, zugeteerter Tramschienen und abgebrannter Häuser stimmte 1974 eine Mehrheit der Jurassierinnen und Jurassier schliesslich für die Unabhängigkeit. Die drei südlichen Distrikte entschieden sich 1975 jedoch in einer zweiten Abstimmung für den Verbleib beim Kanton Bern, das Laufental schliesslich wechselte 1994 zum Kanton Baselland.

Karte des Jura mit Aufteilung der verschiedenen Bezirke, die zu einem gemeinsamen Kanton zusammengefügt würden.
Legende: Eine einzige Farbe? Die kommende Abstimmung stellt die Frage nach einer Zukunft in einem neuen, gemeinsamen Kanton. SRF

Abstimmung im Jura

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Legende: Keystone

Ein neuer Kanton?

Wars das? Nein. Rund 40 Jahre nach der ersten Abstimmung wurden Nord- und Südjurassier Ende 2013 erneut gefragt, ob sie gemeinsam einen neuen Kanton schaffen wollten. Dieser Vorschlag scheiterte jedoch – wie erwartet – am Widerstand des Berner Juras. Doch innerhalb des Jura bernois gab es – ebenfalls wie erwartet – Gemeinden, die dem Vorhaben zustimmten, allen voran die Gemeinde Moutier. Und so dürfen nun am 18. Juni 2017 die Einwohner Moutiers über einen Kantonswechsel abstimmen.

Sollte sich eine Mehrheit der Münsteraner für den Wechsel entscheiden, werden die Einwohner vier umliegender Gemeinden drei Monate später ebenfalls über einen Kantonswechsel abstimmen. Jene Gemeinden, die dem Vorhaben zustimmen, dürfen sich dem Kanton Jura anschliessen. Selbstverständlich muss der Kanton Bern diese dann auch ziehen lassen, worüber wiederum abgestimmt wird.

Ist die Jurafrage damit gelöst? Offiziell ja, in Realität wohl eher nicht, denn wo Grenzen gezogen werden, gibt es immer welche, die mit deren Verlauf nicht einverstanden sind.

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