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Kunstgarten in Marrakesch Ein Paradies gegen die Abwanderung

Fast sein ganzes Vermögen hat er für dieses Projekt aufgewendet: Der Wiener Künstler André Heller hat vor den Toren Marrakeschs einen Garten für die Seele geschaffen – mit Kunst, Kitsch, Natur und hehrem Anspruch: Mit dem Park «Anima» will er das Problem der Emigration an der Wurzel packen.

Das wichtigste in Kürze

  • Der Wiener Künstler André Heller hat in Marrakesch ein verwahrlostes Gelände zu einem Künstlergarten umgestaltet, um Arbeitsplätze und einen Rückzugsort zu schaffen.
  • Das Projekt trägt den Namen «Anima» und hat eine schwierige Entstehungsgeschichte hinter sich: Bis zu 150 Gärtner, Bauarbeiter, Handwerker, die sechs verschiedene Sprachen beherrschten, waren im Einsatz.
  • Den Garten schmücken Skulpturen von Keith Haring und Picasso, aber auch von lokalen Künstlern und Handwerkern.
  • Heller wollte mit «Anima» einen nachhaltigen Ort der Einkehr schaffen, wo Menschen für ein paar Stunden zur Ruhe und Heilung finden können.

Es war Liebe auf den ersten Blick. Als André Heller vor vielen Jahren erstmals nach Marokko kam, wusste er sofort, dass er seine Seelenheimat gefunden hatte. «Dieses Land war für mich die stärkste Übereinstimmung, der ich in meinem Leben je begegnet bin.»

Heute ist Marokko seine zweite Heimat. Er habe in der aktuellen politischen Situation, «in diesem Katastrophenkonglomerat, in dem wir uns seit geraumer Zeit befinden», ganz bewusst Arbeitsplätze in Afrika schaffen wollen.

Der reiche Westen ist gefordert

Zur Person

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Legende: Keystone

André Heller, geb. 1947 in Wien, ist Aktionskünstler, Kulturmanager und Autor. Zu seinen bekanntesten Projekten zählen der «Zirkus Roncalli» (1976), das «Poetische Varieté Flic Flac» (1981) und die chinesische Artistenshow «Begnadeter Körper» (1985).

Heller ist überzeugt, dass das Flüchtlings- und Emigrationsproblem nur dort gelöst werden kann, wo es entsteht. Und dass jene gefordert sind, die es massgeblich zu verantworten haben: «Wir im reichen Westen».

Deshalb hat Heller den Grossteil seiner wertvollen Bildersammlung verkauft und vor den Toren Marrakeschs, im Ourika-Tal, das verwahrloste Gelände einer ehemaligen Rosenfarm erstanden.

Auf einem Teil dieser 7,5 Hektaren Land ist in den letzten acht Jahren ein üppiger, verwunschener Garten entstanden, in dem bereits 50 Leute aus den umliegenden Dörfern eine feste Anstellung gefunden haben.

Der Mann der ersten Stunde

Der Mann, der das Projekt vor Ort seit dem ersten Spatenstich 2008 geleitet hat, ist der Wiener Gregor Weiss, heute auch Generalkonsul von Österreich in Marrakesch.

Von Botanik habe er zwar keine Ahnung gehabt, sagt er lachend im Gespräch. Aber als einer, der als Dokumentarfilmer in den unwegsamsten und ärmsten Weltgegenden gedreht hatte, war er sich gewohnt, in Ländern zu arbeiten, in denen die Dinge halt ganz anders funktionieren als in Europa.

Diese Herausforderung habe ihn gereizt, zumal ihm dann auch noch ein erfahrener Landschaftsgärtner und Pflanzenspezialist aus Spanien an die Seite gestellt worden waren.

80 % Analphabeten auf der Baustelle

Gregor Weiss verfügt – neben der Kenntnis von verschiedenen Sprachen – vor allem über eine grosse Portion Gelassenheit und Improvisationsgeschick. Es war keine leichte Aufgabe, mit fast lauter Analphabeten, die keine Pläne lesen konnten, eine Baustelle zu führen.

Und auch die Kommunikation erforderte Kreativität: In Spitzenzeiten waren bis zu 150 Gärtner, Bauarbeiter, Handwerker im Einsatz, die sechs verschiedene Sprachen beherrschten.

Aufpassen musste Weiss auch bei der Beschaffung der Pflanzen. Oft wurden ihm Palmen angeboten, die in einer Oase heimlich nachts ausgerissen worden waren. Auf solche Händel wollte er sich nicht einlassen: «Man kann kein Paradies erschaffen, indem man ein anderes zerstört.»

Es zirpt und plätschert

Wenn man heute durch diesen üppigen und verwunschenen Zaubergarten wandert, ahnt man nichts von dieser zum Teil schwierigen Entstehungsgeschichte. Es zirpt und plätschert, es zwitschert und sirrt – und allmählich verliert man jegliches Gefühl für Zeit und Orientierung.

Mal wandelt man auf Kies, mal auf Gras, mal auf Sand, lässt sich von variierenden Düften betören und staunt über die Vielfalt der Vegetation, in die immer wieder geschickt ein Kunstwerk gestellt wurde.

Keith Haring und Pablo Picasso

Nach jeder Wegbiegung folgt die nächste Überraschung. Hier begegnet man einem Abguss von Rodins Denker, dort – im Schatten eines riesigen Kakteenbaumes – steht eine Original-Skulptur von Keith Haring, drüben – in einem kleinen Wald von buntbemalten Holz-Stangen – erwarten die Besucher drei echte Teller von Picasso, diebstahlsicher eingemauert in eine schlichte Betonsäule.

Was sich aus der Ferne wie ein schnaubendes Tier anhört, entpuppt sich dann beim Näherkommen als gigantischer Kopf, der in unregelmässigen Abständen Wasser spukt. Gestaltet hat dieses heimliche Wahrzeichen von «Anima» ein Bodenleger aus der Region. Anhand von Skizzen von André Heller fügte er 30‘000 der typisch marokkanischen Zellige-Kacheln zu diesem Schädel zusammen.

Eine Insel der Ruhe

Diese bunte Mischung aus Fabelwesen, Figuren und Objekten, die zum Teil auch von lokalen Künstlern und Handwerkern geschaffen wurden, macht den Reiz dieses Gartens aus. Man schmunzelt, wenn man einen Manager mit überdimensioniertem Eselskopf entdeckt. Und man wird nachdenklich, wenn man vor dem Flüchtlingsschiff aus Blech mit Namen «Espoir» steht, auf dem diverse schräge Vögel und Kreaturen Platz gefunden haben.

Kunst, Kitsch und Natur verschmelzen hier organisch zu einem grossen Ganzen, das einen wie eine Traumwelt umhüllt. Einen Ort der Einkehr wollte Heller mit «Anima» schaffen; eine Insel im hektischen Alltag, wo Menschen für ein paar Stunden zur Ruhe und zur Heilung finden können.

Damit Einheimische davon genauso profitieren können wie Touristinnen und Touristen, bezahlen sie nur die Hälfte des Eintritts.

Eine verrückte Idee

Viele Leute hatten Heller für total verrückt gehalten: Ausgerechnet in einem armen, islamischen Land investierte er praktisch sein ganzes Vermögen. Heute ist Gregor Weiss überzeugt, dass die Vision seines Chefs richtig war.

Die Einbindung in die Region sei hervorragend gelungen. Mehr als 30 junge Männer wurden mittlerweile zu Gärtnern ausgebildet, haben einen unbefristeten Arbeitsvertrag in der Tasche und müssen nicht in die Stadt oder auf Umwegen nach Europa pilgern, um ihr Glück suchen. Sie haben eine Perspektive.

Genau das sei das Schöne an einem solchen Projekt, betont Weiss: «‹Anima› ist kein Festival oder Hotel, das man irgendwann auf- und dann wieder zusperrt. Ein solcher Garten bleibt.» Und er werde – naturgemäss – mit jedem Jahr noch schöner.

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