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«Charlie Hebdo» auf Deutsch Merkel überall: Blick ins erste deutsche «Charlie Hebdo»-Heft

Die erste deutsche Ausgabe der französischen Satirezeitschrift «Charlie Hebdo» ist erschienen. Ein erster Blick ins Magazin zeigt viel Merkel, viel Provokation, viel Frankreich – und längst nicht alles davon vermag zu amüsieren. Eine gezeichnete Reportage aber stimmt unseren Kritiker versöhnlich.

Die erste deutsche Ausgabe der französischen Satirezeitschrift «Charlie Hebdo» ist erschienen. Das Satireblatt, auf das vor fast zwei Jahren ein verheerendes Attentat verübt worden ist, kommt damit einem gesteigerten Interesse des deutschen Publikums entgegen, das Blatt auch auf Deutsch zu lesen.

Inhaltlich versucht es aber etwas nicht ganz Einfaches. Nämlich die Verbindung von französischem Satirestil mit deutscher Politik.

SRF: Sie haben das Blatt bereits gelesen. Ihr erster Eindruck?

Michael Luisier: Diese Verbindung von französischem Satirestil mit deutscher Politik ist etwas ungewohnt. Dieses Schrille, Derbe, auch Erotisierte, Grobe, was zum Stil von «Charlie Hebdo» gehört, im Zusammenhang mit einer Kanzlerin Merkel zu zeigen, das kennt man nicht. Auch nicht von der Titanic, dem deutschen Pendant von Charlie Hebdo.

Zur Person

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Michael Luisier ist Literaturredaktor bei SRF Kultur.

Aber: Die Leute von «Charlie Hebdo» versuchen nicht nur, diese beiden Satirekulturen zu vermischen. Man sieht sehr wohl die französische Herkunft. Man sieht aber auch den Versuch, Französisches und Deutsches zu trennen und nebeneinander zu stellen

Wie funktioniert dieses Trennen, respektive dieses Nebeneinanderstellen?

Grundsätzlich ist es eine auf Deutsch übersetzte französische Satirezeitschrift mit französischen Inhalten. Das ist die Hauptsache.

Es gibt eine Titelseite mit einer dazugehörigen Seite mit deutschem Inhalt, und ein vierseitiges Kernstück in der Mitte der Zeitung, ebenfalls mit deutschen Themen. Die Titelseite und die Seite zwei drehen sich um die erneute Kandidatur von Angela Merkel als Kanzlerin. Das ist der satirische Aufhänger. Und das ist leider eher schwach.

Die Mitte allerdings, das Kernstück, das ist eine vom Chefredakteur Riss gezeichnete Reportage aus Deutschland: «Rabenmutti und Vaterstatt: wer lebt glücklich in Deutschland». Diese Reportage ist stark.

Was ist denn stark daran?

Es ist eine Reise durch Deutschland. Sie beginnt am Hamburger Hafen und endet vor dem Reichstagsgebäude in Berlin. Es kommen darin sehr viele Menschen zu Wort, die über ihre Befindlichkeit in Deutschland reden. Das ist zugespitzt, politisch, satirisch, aber nicht verzerrt.

Da werden Dinge angesprochen wie die Stimmung in Ostdeutschland, die gegen die Flüchtlinge gerichtet ist, und die als Übergangsfaschismus bezeichnet wird.

Das wird aber auch gegengespiegelt mit dem Umstand, dass nicht wenige Flüchtlinge aus Gesellschaften kommen mit klar antisemitischem Hintergrund. Eine Reportage aus dem inneren von Chefredakteur Riss. Schön – und typisch Charlie Hebdo: niemandem verpflichtet, geprägt vom libertären Geist.

Und was gefällt Ihnen nicht an den ersten beiden Seiten?

Das sind Witze, die schlicht nicht funktionieren. Da sind die Leute in Paris einfach zu weit weg. Auf der Titelseite sehen wir Angela Merkel, die in einer Garage aufgebockt wird. Ein VW-Arbeiter daneben mit einem Auspuff in der Hand und der sagt: «Ein neuer Auspuff und es geht noch 4 Jahre weiter».

Ein Bild der ersten deutschen Ausgabe von «Charlie Hebdo».
Legende: Die Titelseite der ersten deutschen Ausgabe von «Charlie Hebdo» überzeugt nicht. Keystone

Erstens, ich versteh es nicht. Und wenn, dann als ziemlich derbe Zote. Und zweitens: Die ganzen Merkelbilder – es gibt ein paar – sind irgendwie alle an der Situation vorbeigezeichnet. Da ist mit die Zonen-Gaby der Titanic schon lieber, die eine Gurke schält und von ihrer ersten Westbanane spricht.

Ist in den übersetzten Passagen die bevorstehende Präsidentenwahl Thema?

Ja. Da geht es vor allem um den Widerspruch zwischen einem wertekonservativen François Fillon auf der einen Seite, der die konservative Vorwahl gewonnen hat, und einer krampfhaft offenen Linken andererseits, die kaum mehr eine Chance hat.

In einem sehr typischen, weil politisch unabhängigen Leitartikel schreibt der Chefredakteur in derber Sprache:

«Der Wähler hat nicht die Wahl zwischen einem rechten und einem linken Programm, sondern zwischen zwei Tapeten: eine mit einem Traktor im Vordergrund und einer Kirche am Horizont, eine andere mit Skyline einer Trabantenstadt und Jugendlichen, die in einem Hauseingang herumlungern, den Blick wie gebannt auf das iPhone gerichtet. Das rechte Lager verklärt das ‹ewige Frankreich›, während das linke beim Gedanken an ein ‹Frankreich der Vielfalt› intellektuell masturbiert.»

Also doch mehr als nur Provokation und Nonsens.

Provokation ja. Nonsens nein. Eine politische Zeitung mit satirischen Mitteln.

Was ist Ihr Fazit nach der ersten Lektüre?

Die Zeitung funktioniert, wenn sie wirklich aus Deutschland berichtet. Sie funktioniert in allen übersetzten Passagen, wenn sie aus Frankreich berichtet. Sie funktioniert nicht, wenn die deutsche Tagespolitik aus der Ferne kommentiert wird.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 1.12.2016, 17:06 Uhr

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