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Der Krieg ist aus! Das Trugbild der heldenhaften Trümmerfrau

Ein Tuch auf dem Kopf, den Hammer in der Hand – dieses Bild steht für die sogenannten Trümmerfrauen, die nach dem Krieg die zerbombten Städte von Schutt und Asche befreiten und tatkräftig und selbstlos den Wiederaufbau Deutschlands vorantrieben. Ein Trugbild, wie eine Historikerin jetzt belegt.

Es ist kurz vor Kriegsende. Die 32-jährige Erika Pohl flüchtet mit ihrer fünfjährigen Tochter Siegrun aus Pommern vor den heranrückenden Russen nach Westen, nach Klein Meckelsen, in ein Dorf in der Heide zwischen Bremen und Hamburg.

Als ihr Mann Werner mit Geschosssplittern im Bein aus dem Krieg nach Hause kommt, kämpft die Familie ums Überleben. Es mangelt an allem. Die Ernährung besteht hauptsächlich aus Kartoffeln und Milch. Und nur dank der Pakete von Tante Grete aus Zürich gibt es etwas zum Anziehen. Die Wohnverhältnisse sind prekär: Zu dritt wohnen, kochen und schlafen sie in einem Zimmer von 12 Quadratmetern.

Steine klopfen als Hoffnung

Der Wunsch, da herauszukommen, ist gross. Die Pohls erfahren von einem Nachbarn, dass man in den Trümmern der zerbombten Stadt Hamburg Steine klopfen und für sich selbst Baumaterial beschaffen kann. Sie beschliessen, dorthin zu gehen, in der Hoffnung, aus geputzten Ziegelsteinen ein eigenes Haus zu bauen.

Dass Erika Pohl einmal als Trümmerfrau heldenhaft in die Geschichte eingehen sollte, fällt ihr damals nicht im Traum ein. Denn die Arbeit ist hart und schmutzig. Darüber hinaus werden den deutschen Flüchtlingen aus dem Osten jene Bruchsteine zugeteilt, die mit Zement verbunden und am schwierigsten zu säubern sind.

Nach tausend geklopften Steinen für die Hansestadt können die Pohls Steine für sich bearbeiten und so Baumaterial für das geplante Haus bereitstellen. Aber für jeden Stein, den sie nach Klein Meckelsen bringen wollen, müssen sie den Hamburger Bürgern etwas bezahlen.

Dreck- und Strafarbeit

Buchhinweis

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Leonie Treber: «Mythos Trümmerfrauen.» Klartext-Verlag, 2014.

Die Trümmerräumung war nach dem Krieg ein negativ besetzter Begriff, hält die Historikerin Leonie Treber in ihrem Buch «Mythos Trümmerfrau» fest. Der Einsatz in den Ruinen galt als Dreckarbeit, ja sogar als Strafarbeit. Und zwar, weil Hitlers Verwalter während des Kriegs, als deutsche Städte von den Alliierten bombardiert worden waren, für diese Aufräumarbeiten vor allem Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge dazu nötigten.

Nach dem Krieg riefen die Besatzungsmächte in West und Ost Flüchtlinge und Arbeitslose auf den Plan, denen sie eine Entschädigung versprachen, wenn sie zur Trümmerräumung antraten.

Von Freiwilligkeit keine Spur

Für mittellose Frauen, die Kinder zu versorgen hatten, war es die einzige Möglichkeit, um zusätzliche Essensrationen zu bekommen. Ihre mit Nahrungsmitteln schlecht dotierte «Hausfrauenkarte», auch «Hungerkarte» genannt, konnten sie so gegen eine Lebensmittelkarte eintauschen, mit der sie mehr Butter und Mehl erhielten.

Ende der 1940er-Jahre kam es in Berlin, vor allem in der von den Sowjets besetzten Zone und späteren DDR, allmählich zu einer positiveren Bewertung der Trümmerarbeit. Jetzt wurden die Frauen, die auf den Ruinen standen, plötzlich als «Heldinnen der Arbeit» bezeichnet. Ausgehend von der Trümmerfrau, konstruierten die DDR-Behörden das neue Vorbild der berufstätigen Frau, die sich am Aufbau des sozialistischen Staats beteiligt.

Die Trümmerfrauen wurden in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg immer wieder öffentlich als freiwillige und selbstlose Helferinnen gefeiert, die mit ihrer Tatkraft massgeblich zum Wiederaufbau und so zum Wirtschaftswunder beigetragen hätten. In manchen Städten, wie etwa in Berlin, wurde ihnen sogar ein Denkmal errichtet. Auch die Frauengeschichtsschreibung der 1980er-Jahre schloss sich dieser positiven Bewertung an.

Ideologisch aufgeladen und politisch ausgeschlachtet

Doch die Historikerin Leonie Treber, die an der Technischen Universität Darmstadt forscht, holt die Trümmerfrau vom Sockel. Ihre Studien belegen, dass die Frauen nicht allein in den Ruinen standen, sondern mit ihnen viele Männer. Die meisten Arbeitskräfte waren nicht freiwillig im Einsatz, sondern nur gezwungenermassen oder aus purer Not mit von der Partie. Ausserdem, hält Leonie Treber fest, wurde nach dem Krieg der grösste Teil des Bauschutts maschinell abgetragen.

Sie zeigt so eindrücklich auf, wie die «Trümmerfrau» ideologisch aufgeladen und politisch ausgeschlachtet wurde, im Osten ebenso wie im Westen, vor der Wende ebenso wie nach der Wiedervereinigung.

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