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100. Geburtstag Carson McCullers: Das düstere Wunderkind

Der Erfolg ihres Debüts machte die damals 23-jährige Carson McCullers zum literarischen «Wunderkind». Heute wäre sie 100 Jahre alt geworden.

Als 1940 ihr erster Roman erscheint («Das Herz ist ein einsamer Jäger»), wird sie so­fort ein Star auf der literarischen Bühne Amerikas. Auf den Porträtfotos, die zu ihrem Ruhm beitra­gen, schaut sie mit grossen Augen in die Kamera. Sie sieht sehr jung und verletzlich aus. Sie er­innerte sich später, die zwei Jahre Arbeit am Manuskript seien eine gute Zeit gewesen: «Ich arbeitete intensiv und liebte intensiv.»

Mit 20 hatte sie geheiratet. Es sollte eine «Ehe der Liebe und des Schrei­bens» werden, aber Reeves McCullers blieb neben der Erfolgreichen Carson McCullers bald auf der Strecke. Er war ein trauriger Mann, ein Alkoholiker, von dem sie sich scheiden liess – und den sie später ein zweites Mal heiratete. Eine leidenschaftliche Liebe, die dramatisch endet.

Das Filmplakat von «Reflections in a Golden Eye» mit Marlon Brando und Elizabeth Taylor.
Legende: Das Filmplakat von «Reflections in a Golden Eye» mit Marlon Brando und Elizabeth Taylor (1967). Warner Brothers

Eine Frühvollendete

Ihr zweiter Roman «Spiegelbild im goldenen Auge» erscheint 1941. 25 Jahre später wird ihn John Huston verfilmen mit Mar­lon Brando und Elizabeth Taylor. Die Geschichte spielt in einer Festungsgarnison in Frie­dens­zeiten. In den Südstaaten von Amerika. Es geht um Mord, Leidenschaft und Untreue, Homo­sexualität und Hysterie.

Und wie bei ihrem ersten Roman, kommt es einem ganz und gar unwahrscheinlich vor, dass eine 24-Jährige diese düstere Geschichte geschrieben hat. Sie war das, was man eine Frühvollendete nennt. Und sie gehört mit ihren fünf Romanen und etlichen Kurzgeschichten zum unbestreitbaren Kanon der amerikanischen Literatur.

Seelische Isolierung

Die Romane und Erzählungen drehen sich immer wieder um Rassenhass und dessen Über­win­dung, um Verlierer und Schei­­ternde, Krank­heit und Tod, kindliche Hoff­nungen und uner­füll­bare Sehnsüchte: «Mein erstes Buch handelte fast ausschließlich davon und seither mehr oder weniger auch alle meine andern Bücher. Liebe, und besonders die Liebe zu einem Menschen, der unfähig ist, sie zu erwidern oder zu em­pfangen, bildet den Kern meiner Aus­wahl grotesker Gestalten....»

Die Figuren von Carson McCullers: Ein taubstummer Homo­sexueller, ein verzweifelter schwarzer Arzt, ein trunkener Weltverbesserer, ein trauriger Ehemann, ein homosexueller Hauptmann, weisse Alko­holi­kerinnen und kluge schwarze Köchinnen, eine Komponistin, die sich ihre Biographie zu­recht­ lügt, ein junges Mädchen, das von Musik träumt und ein anderes, das sich nach Zuwendung sehnt, ein aus­geschriebener Schriftsteller, ein kleinwüchsiger Mann, eine maskuline, reiche Schnaps­brennerin in einem verschlafenen Dorf im Süden.

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Glück und Geborgenheit

Mit 26 schreibt sie in nur sechs Wochen «Die Ballade vom traurigen Café». Da verliebt sich eine kalte Südstaatenamazone in einen verwachsenen Zwerg. Die Geschichte einer unmög­lichen Liebe in der Glut des Südens.

1946 erscheint ihr erfolgreichstes Buch «Frankie». Ein 12-jährges Mädchen sehnt sich nach Glück und Geborgenheit. Und bespricht ihre Träume mit der schwarzen Köchin.

«Ich möchte nur aussehen wie Greta Garbo»

Die 1950er-Jahre waren schwer für die Südstaatenautorin. Ihr Mann begeht im Delirium Selbst­mord, sie kommt mit ihrem neuen Roman nicht voran. Sie ist krank und hat Schmerzen. Trotz­dem sitzt sie 1958 geduldig und heiter vor der Kamera des Photographen Richard Avedon und scherzt: «Ich möchte nur aussehen wie Greta Garbo.»

1967 stirbt Carson McCullers. Ihr letzter grosser Roman «Uhr ohne Zeiger» beginnt mit dem Satz «Der Tod bleibt sich immer gleich, aber jeder Mensch stirbt seinen eigenen Tod».

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Passage, 17.2.2017, 20:00 Uhr.

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