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Schweizer Buchpreis 2013 «Carambole»: ein Roman mit vertraut verzweifelten Figuren

Jens Steiners zweiter Roman steht auf der Shortlist des Schweizer Buchpreises. Ein Buch über Figuren, die die Verzweiflung suchen, weil sie ihnen etwas gibt. Sie berühren den Leser mit ihrer Gewöhnlichkeit. Wiedererkennung ist nicht ausgeschlossen.

«Carambole. Ein Roman in zwölf Runden», so heisst der Zweitling des 38-jährigen Zürchers Jens Steiner, ein Buch, das die Leser, analog zum titelgebenden Spiel, in ein vielschichtiges, spannendes Erzählspiel entführt: «Mit einem kleinen runden Stein schubst man andere kleine, runde Steine in ein Loch in der Ecke des Spielfelds. Manchmal schubst man den falschen Stein an. Manchmal ist der falsche Stein der richtige.»

Buchhinweis

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Jens Steiner: «Carambole, ein Roman in zwölf Runden.» Dörlemann, 2013.

Carambole ist auch das Spiel, das im Roman von einem «klandestinen Altherrenklub» gespielt wird, bestehend aus einem spätberufenen Paläontologen, einem philosophierenden Landstreicher und einem gescheiterten Gärtner, der seit Jahren versucht, den Schriften des marxistischen Philosophen Antonio Gramschi auf den Grund zu kommen. Drei Männer, die mit ihrem Leben und ihrer Biografie ringen wie die anderen Figuren auch.

Frage nach dem Sinn des Lebens

Carambole-Brett mit Steinen.
Legende: Der Roman ist wie das titelgebende Spiel: vielschichtig und spannend. Ahorn Holz und Spiel AG

Jens Steiner schildert nur wenige Sommertage in einem ganz gewöhnlichen Dorf irgendwo im schweizerischen Mittelland und baut daraus ein ganzes Panorama von Befindlichkeiten, alle grundiert von der schwierigen, aber ganz ohne Pathos gestellten Frage nach dem Sinn des Lebens und den Möglichkeiten, ihn selbst zu gestalten.

Seien es drei pubertierende Jungs, die sich vor der Langeweile der bevorstehenden Sommerferien fürchten, sei es der «Altherrenklub» mit seinen gepflegten Treffen oder ein Mann, der nach einem verheerenden Streit mit seinem Bruder seit achtundzwanzig Jahren nichts anderes mehr tut, als zur immer gleichen Zeit zweimal täglich die Dorfkneipe aufzusuchen, um stumm ein Bier zu trinken – alle Figuren in «Carambole» verharren im Stillstand; wenn sie flüchten, dann nur, um bleiben zu können.

Eindrücklich gewöhnlich

Schweizer Buchpreis 2013

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Die öffentliche Preisverleihung des Schweizer Buchpreis findet am Sonntag, 27. Oktober, im Theater Basel statt. Radio SRF 2 Kultur berichtet ab 12.40 Uhr live und spricht mit dem oder der GewinnerIn.

Ihre Geschichten mögen verrückt sein – der Landstreicher etwa hat sich sein Leben am Rand der Gesellschaft wie ein Kostüm übergestülpt, um sich dahinter, vielleicht auch vor sich selbst, zu verstecken –, gleichzeitig sind sie eindrücklich gewöhnlich und uns durchaus vertraut:

Wir kennen die Verzweiflung im Umgang mit einer pubertierenden Tochter, die konsequent das Gespräch verweigert, wir kennen die Fassungslosigkeit, wenn eine Liebe zerbricht, von der wir dachten, sie würde bis ans Ende unserer Tage halten. Nicht immer verlaufen unsere Leben nach Plan und schon gar nicht nach unseren Wünschen. Wir wissen, dass Krankheiten, Unglücksfälle, Verbrechen uns treffen können wie alle anderen – und wie alle anderen auch wollen wir es doch nicht wahr haben.

Hintergründiger Humor

Jens Steiners Kunst besteht darin, diese Geschichten in lauter losen Enden zu erzählen, vieles offen zu lassen und doch tief in die Psyche seiner Figuren einzudringen. Allerdings ohne zu psychologisieren und ohne das Geflecht der Motive und Bezüge zu strapazieren. So bleibt viel Raum für den Zufall und einen hintergründigen Humor. Man lacht also durchaus auch mal über sich selbst beim Lesen, noch während man darüber schmunzelt, mit welchen Strategien die Figuren in «Carambole» die Unbill ihres Lebens in Griff zu versuchen bekommen.

Gegen gutschweizerische Saturiertheit

Das manchmal verschroben Selbstquälerische dieser Bewältigungsstrategien ist allerdings durchaus gewollt. Alle Figuren in seinem neuen Roman suchten auch die Verzweiflung, sagt Jens Steiner: «Für mich ist Verzweiflung nicht nur negativ besetzt. Sie bringt einen in Bezug zum Lebenssinn und auch zum Lebensunsinn, zur Sterblichkeit. So suchen meine Figuren die Verzweiflung, weil sie ihnen auch etwas gibt, was vielleicht gerade in diesem Land nicht so oft da ist».

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