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Literatur US-Rassismus: Toni Morrisons eindringlicher Roman «Heimkehr»

Traumatisiert, beziehungsunfähig, alkoholkrank und als Schwarzer diskriminiert: In ihrem Roman «Heimkehr» schildert die afroamerikanische Schriftstellerin Toni Morrison das bedrückende Schicksal eines Kriegsveteranen in den USA der 1950er-Jahre.

Die Hauptfigur des Romans ist der junge Schwarze Frank Money. Er lebt in den zutiefst rassistischen USA der 1950er-Jahre. Brutale Gewalt, Schlägereien aufgrund der Hautfarbe und Schikanen der Polizei sind an der Tagesordnung.

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Toni Morrison: «Heimkehr», Rowohlt, 2014.

Daneben gibt es einen alltäglichen Rassismus, der weniger offensichtlich aber nicht minder perfide ist: Schwarzen ist vieles verboten, was Weissen erlaubt ist. So müssen Schwarze etwa hinten im Bus sitzen. Oder sie dürfen in gewissen Quartieren keine Häuser erwerben, weil sie Weissen vorbehalten sind.

Zerrissene Persönlichkeit

Zur Entfremdung von der Gesellschaft kommt das Erlebnis des Korea-Kriegs hinzu, aus dem Frank Money soeben zurückgekehrt ist. Der Veteran ist traumatisiert. Er hat seine engsten Freunde sterben sehen und bringt die schrecklichen Bilder nicht mehr aus dem Kopf. Auch hat Frank Money im Krieg selbst schwere Verbrechen begangen. Schuldgefühle, Angstträume und psychotische Ausbrüche suchen ihn heim.

Dabei erwachen auch immer wieder schmerzhafte Kindheitserinnerungen: Er und seine Schwester wurden von den Eltern vernachlässigt und wuchsen bei einer sadistischen Stiefgrossmutter auf.

Vielfältige Sprache und Erzählweise

Toni Morrison zählt zu den wichtigsten Stimmen der afroamerikanischen Literatur. Die nunmehr 83-jährige Schriftstellerin und Literaturnobelpreisträgerin gilt als sprachgewaltige Erzählerin, die in zahlreichen Romanen und Erzählungen die Situation der Schwarzen in den USA zum Thema gemacht hat.

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Lesung: Ausschnitt aus «Heimkehr» von Toni Morrison
01:06 min
abspielen. Laufzeit 1 Minute 6 Sekunden.

Auch in «Heimkehr» gelingt ihr die überaus eindringliche Schilderung eines Einzelschicksals. Erneut schöpft sie aus einem breiten Fundus an literarischen Techniken. Sie verwendet eine alltagsnahe Sprache und vermittelt damit der Darstellung viel Authentizität. Morrison unterbricht den Erzählstrang jedoch immer wieder. Schilderungen der Gegenwart wechseln sich ab mit Rückblenden, tranceartigen inneren Monologen und Dialog-Sequenzen.

Auch wird der allwissende Erzähler mehrfach von Frank Money unterbrochen, der aus der Ich-Perspektive korrigierend in die Schilderung eingreift. Diese ruckartigen Verschiebungen im Erzählstrang sowie die dauernden Wechsel der Perspektive greifen auf formaler Ebene das inhaltliche Thema der Zerrissenheit auf.

Heimkehr mit Fragezeichen

Frank Money sehnt sich nach Geborgenheit, Erfüllung und Sinn. Die Heimkehr – oder der Wunsch, heimkehren zu dürfen – ist das Leitmotiv, das den Roman durchzieht.

Vielschichtigkeit auch hier: Money kehrt aus Korea zurück, Money kehrt zu seiner Schwester und, mit ihr zusammen, an den Ort seiner Kindheit zurück. Am Ende des Romans schafft es Money, zu sich selbst zurückzukehren: Er schliesst Frieden mit seiner Vergangenheit, stellt sich über seine rassistische Umwelt und anerkennt seine eigene Schuld im Krieg.

Audio
Felix Münger über «Heimkehr» von Toni Morrison
aus Kultur kompakt vom 26.03.2014.
abspielen. Laufzeit 3 Minuten 37 Sekunden.

Morrison lässt allerdings offen, wie die zerrissene Persönlichkeit Frank Money diese Herkulesaufgabe gelingt. Es ist einfach plötzlich alles anders als vorher. Und dies wirft beim Lesen die Frage nach dem Warum auf.

Zwar bringt die Schriftstellerin eine Lichtmetaphorik ins Spiel: Die Welt scheint zum Schluss des Romans plötzlich farbig und hell zu sein, während man sich zuvor in einem Schwarz-Weiss-Film wähnte. Dies vermag jedoch nichts daran zu ändern, dass man Frank Money dessen wundersame Wandlung nicht recht glauben mag.

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