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«Territoriale Herrschaft gibt es aber nicht mehr»
Aus HeuteMorgen vom 03.04.2017.
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Terrormiliz in der Defensive «Der IS ist ein Problem – auch ohne Kalifat»

Im Irak steht die Terrormiliz Islamischer Staat unter Druck und auch in Syrien stehen der Organisation längerfristig Probleme bevor. Terrorexperte Guido Steinberg erklärt, wie der IS darauf reagieren wird.

SRF News: Wie ist die aktuelle Lage in Mossul?

Guido Steinberg

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Der promovierte Islamwissenschaftler ist Sicherheitsexperte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Bis 2005 arbeitete er als Terrorismusreferent für die deutsche Regierung. An der SWP erforscht er die Politik des Nahen Ostens und den islamistischen Terrorismus.

Guido Steinberg: Etwas unübersichtlich. Die irakischen Truppen stehen seit einigen Wochen im Westteil der Stadt stehen. Dort haben sie grosse Fortschritte gemacht. In den letzten Tagen wurden aber auch Berichte über steigende zivile Opferzahlen veröffentlicht. Das war zwar zu erwarten, stellt für die irakische Regierung aber ein grosses Problem dar, weil sie nicht will, dass die Zivilbevölkerung unter ihren Massnahmen leidet.

Darum geht es

  • Die irakische Armee erzielt in Mossul Fortschritte im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat.
  • Auch in Syrien steht die Organisation unter Druck – wenn auch weniger stark.
  • Terrorexperte Guido Steinberg sagt, der IS bleibe weiterhin gefährlich, ändere aber seine Form.

Wie stark ist der IS im syrischen Rakka?

In Rakka ist der Druck noch nicht so hoch wie in Mossul. Auf grössere Erfolgsmeldungen werden wir dort sicher noch länger warten müssen.

Kürzlich behauptete der IS, der Tabka-Staudamm in Rakka sei beschädigt und es bestehe Flutgefahr. Ist dieser Staudamm ein Druckmittel für den IS?

Die Tabka-Staumauer bei Rakka
Legende: Gefährliche Mauer: Sollte der Tabka-Damm beschädigt werden, könnten Millionen von Menschen darunter leiden. Reuters

Seit einigen Tagen wird am Tabka-Staudamm gekämpft. Die Gefahr ist gross, dass er beschädigt wird. Wenn der Staudamm birst, werden hunderttausende oder möglicherweise sogar Millionen von Menschen in Richtung des Persischen Golfs gespült. Das wäre eine Katastrophe ungeahnten Ausmasses. Die Amerikaner und ihre Verbündeten am Boden müssen deshalb sehr vorsichtig vorgehen.

Steht das IS-Kalifat vor dem Aus?

Das Kalifat als staatsähnliches Gebilde steht vor dem Aus. Es hält zwar noch wichtige Städte wie etwa Rakka, richtige territoriale Herrschaft gibt es aber nicht mehr. Das macht es für die Organisation schwierig, weiterhin zu beanspruchen, der eigentliche islamische Staat zu sein.

Der IS wird auf das zurückschrumpfen, was er schon 2010 war: eine sehr gefährliche Terrororganisation.

Welche Folgen hat das?

In den nächsten Wochen und Monaten werden sich die Kämpfer der Organisation zurückziehen – in Syrien etwa in Richtung irakische Grenze, wo viele Orte noch unter der Kontrolle des IS stehen. Ich erwarte nicht, dass es noch in diesem Jahr gelingt, alle grösseren Orte von der Organisation zu befreien. Selbst wenn das gelingt, sind noch zehntausende Kämpfer unterwegs, die Schaden anrichten können. Der IS ist ein Problem auf Jahre hinaus – ob Kalifat oder nicht.»

Das bedeutet, dass der IS noch nicht vor einer grossen Niederlage steht, aber wesentlich dezimiert ist?

Für den IS ist das eine grosse Niederlage. Er hat so viel Werbung damit gemacht, dass er in der Lage war, einen wirklichen Staat mit Territorium zu gründen. Dieses Territorium kann er jetzt nicht halten. Die Miliz wird auf das zurückschrumpfen, was sie schon 2010 war: eine sehr gefährliche Terrororganisation.

Wie hat sich die Organisation seit 2010 verändert?

Der IS hat rechtzeitig dafür gesorgt, sein Personal zu verstreuen. Die Organisation hat Verbündete im Kaukasus, auf der Arabischen Halbinsel, in Nordafrika oder in Südasien gefunden. All diese Gruppierungen werden auch in den nächsten Jahren noch für Furore sorgen – zwar nicht mehr als staatliche Gebilde aber als terroristische Gruppierungen von ordentlicher Stärke.

Inwiefern das Kalifat seine Attraktivität behalten kann, hängt auch davon ab, ob der Kalif Abu Bakr al-Baghdadi überlebt.

Wohin setzen sich die geflüchteten IS-Kämpfer ab?

Wir beobachten diese Rückkehr- und Absetzbewegungen schon seit 2015. Es hat eine Rückkehr in Richtung Libyen gegeben. Dort ist die Situation für den IS zwar auch nicht ideal, vor allem nordafrikanische Kämpfer werden sich aber dorthin absetzen. Auch haben wir beobachtet, dass mit dem Flüchtlingsstrom dutzende oder sogar hunderte IS-Kämpfer nach Zentraleuropa gezogen sind. Es gibt aber auch andere Gebiete, in denen es starke IS- Filialen gibt, beispielsweise Jemen, Ägypten Afghanistan, Pakistan aber auch in den schwer zu erreichenden Kaukasus. Die Rückreisebewegung, die schon zu beobachten ist, wird sicher stärker werden, wenn der Sturm auf Rakka beginnt.

Das Kalifat stirbt, aber nicht die Terrormiliz?

Genau so ist es. Das Kalifat wird zerstört werden. Ob es seine Attraktivität behalten kann, hängt auch davon ab, ob der Kalif Abu Bakr al-Baghdadi überlebt. Ihn zu ersetzen, wird nicht einfach. Der IS ist aber eine Terrororganisation, die sehr weit verbreitet ist. Wir werden noch länger mit ihr zu tun haben.

Das Gespräch führte Teresa Delgado.

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