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Hochhäuser Die höchste Hausbesetzung der Welt

Geplant war ein Wolkenkratzer der Superlative, ein Prestigebau für die Finanzelite. Nach einem Bankencrash im Rohbau stehen gelassen, wurde der Torre David in Venezuela von der Bevölkerung besetzt und als vertikale Favela besiedelt. Heute leben im Turm 3000 Menschen in einer Riesen-Gemeinschaft.

Mitten im Bankenviertel ragt das Betonskelett des Torre David in den Himmel. Der Wolkenkratzer wurde in den 90er-Jahren halbfertig stehen gelassen, als dem Bauprojekt nach einer Bankenkrise das Geld ausging. 12 Jahre stand der Koloss leer, bis er 2007 von tausenden Menschen in Wohnungsnot in Beschlag genommen wurde – geduldet von der damaligen Regierung unter Präsident Hugo Chavez.

Illegal das Stadtnetz angezapft

Nach und nach haben die Bewohner die Bauruine bewohnbar gemacht. Wo Aussenwände fehlen, haben sie behelfsmässige Mäuerchen errichtet. Wasser zum Waschen und Duschen wird von einem zentralen Tank auf jedes Stockwerk gepumpt. Nicht nur für die Wasserpumpe ist Elektrizität unverzichtbar. Auch für die Beleuchtung der gefährlichen Treppen und Flure sind die Bewohner auf Strom angewiesen, die meisten Bewohner haben zudem Kühlschränke, Fernseher und Computer.

Jorge Morales, ein Besetzer der ersten Stunde, hat den Torre ans Stromnetz gebracht. «Wir haben den Boden geöffnet und das Stadtnetz angezapft», erzählt der Elektriker. «Das war illegal, aber wir haben den Menschen damit ein normales Leben ermöglicht.» Mittlerweile bezahlt die Hausgemeinschaft für den Strom. 15 Dollar Miete zahlt jede Familie monatlich in den gemeinsamen Topf ein.

Drei Jahre um Zugang gekämpft

Das Team um die ETH-Architekturprofessoren Alfredo Brillembourg und Hubert Klumpner ist während zwei Jahren in den Mikrokosmos Torre David eingetaucht. Im Rahmen ihres Urban Think Tanks tüftelten die beiden bereits seit Jahren an städtebaulichen Perspektiven für Caracas, als der Torre 2007 besetzt wurde. Ihr Vorhaben, die Besetzergemeinschaft zu erforschen, stiess aber zunächst auf heftigen Widerstand.

«Während drei Jahren versuchten wir mit allen Mitteln die Anführer der Gemeinschaft zu erreichen – wir standen immer wieder an den Toren, oft ohne Erfolg», schreiben Brillembourg und Klumpner in ihrem Buch zum Torre David. Erst 2011 erhielten sie Zugang zum Turm, verbunden mit dem Angebot, Vorschläge für die Renovation der maroden Fassade zu machen. Zugleich schuf das Team eine umfassende Dokumentation zu Geschichte, Architektur und Alltag im Turm.

Hierarchisch organisiert

Gemanagt wird das Zusammenleben etagenweise: Auf dem zehnten Stock ist Lisbeth Vargas die Chefin. Im Torre brauche es gegenseitige Rücksichtnahme und Disziplin, sagt Vargas. Die Gemeinschaft, einst aus einer anarchistischen Bewegung entstanden, ist streng hierarchisch geordnet. Die Stockwerk-Chefs rapportieren der kleinen Führungsriege die aktuellen Anliegen der Bewohner – ihre Mitsprache ist aber begrenzt. Entscheidungen werden nicht basisdemokratisch sondern von der Führung gefällt.

Bisher lässt die Regierung die Besetzer gewähren, aber die Zukunft ist ungewiss. Der Torre David gilt als Schandfleck in der City, als Brutstätte von Gewalt und Kriminalität. Für die Bewohner, die aus der Armut kamen, bedeutet der Turm aber die Chance auf ein besseres Lebens. Und sie schämen sich nicht, im berüchtigten Wolkenkratzer zu leben. «Ich sage mit Stolz, wo ich wohne», sagt Lisbeth Vargas. Die Familien haben ihre Wohnungen mit viel Liebe eingerichtet, teilweise tausende Dollar in die Einrichtung investiert.

Sport in luftiger Höhe

Das Selbstbewusstsein der Bewohner manifestiert sich auch auf dem Sportplatz im Innenhof des Turm. Hier trainiert das Basketball-Team des Torre – Tenue und Training werden aus dem Topf der Gemeinschaft finanziert. Die Mannschaft tritt gegen Teams anderer Viertel an.

Trainiert wird auch in luftiger Höhe: Im 28. Stock haben Bewohner ein improvisiertes Fitness-Studio errichtet. Als Gewichte stemmen sie Elemente des ausrangierten Liftes.

Im Torre wird gekocht, gehandelt, getanzt, geschuftet. Und rund 1500 Kinder rennen durch die Flure. Die Bauruine hat sich mit neuem Leben gefüllt, funktioniert als Mikrokosmos mitten in der Metropole. So beschwerlich der Alltag, so prekär die Existenz der Besetzer ist: Aus einem gescheiterten Bauprojekt ist für sie eine neue Heimat geworden.

Literaturhinweis: Torre David. Informal vertical communities. Von Alfredo Brillembourg, Hubert Klumpner, Iwan Baan. Lars Müller Publishers, Zürich.

(webk)

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