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Kriminal-Einmaleins Wie geht eine Gerichtspsychiaterin vor?

Forensische Gutachten werden in der Rechtsprechung immer wichtiger. Aber wie kommt ein psychologisches Gutachten zustande? Die langjährige Gerichtspsychiaterin Anneliese Ermer erklärt das Vorgehen.

Seit 25 Jahren verfasst Anneliese Ermer psychiatrische Gutachten über Täterinnen und Täter. Dabei führt sie stundenlange Gespräche mit der beschuldigten Person und führt Tests durch.

Welche fünf Schritte sind zentral bei einer forensisch-psychiatrische Begutachtung in einem Strafverfahren?

1. Schritt



Studium der vom Auftraggeber (z.B.
Staatsanwaltschaft oder Gerichte) zur Verfügung gestellten Akten

Zentrale
Fragen


Welche Angaben zum aktuellen Tatvorwurf gibt es?

Ist
der Täter oder die Täterin vorbestraft?
Sind
Vorgutachten vorhanden?
ZielEs soll in Erfahrung gebracht werden, wie sich eine Tat abgespielt hat,
wie sich der Täter/die Täterin vor, während
und nach der Tat verhalten hat.
Sind seine/ihre Angaben konsistent sind oder widersprechen sie sich – auch im
Vergleich mit den Angaben Dritter (Opfer, Zeugen, Mittäter).
Es gilt auch
herauszufinden, ob sich bei Begehung der Tat
Hinweise auf das Vorliegen einer psychischen Krankheit erkennen
lassen.
Das
Vorhandensein oder Fehlen von Vorstrafen gibt erste Hinweise auf die Persönlichkeit des
Täters. Das trifft auch auf frühere psychiatrische Gutachten und weitere ärztliche Berichte zu.

2. Schritt

Aufklärung
des Täters/der Täterin

Zentrale
Inhalte


Dem Täter/der Täterin werden erklärt: Sinn und Zweck der Begutachtung, Verweigerungsrecht des Täters/der Täterin in
Bezug auf das
Gutachten, eingeschränkte Schweigepflicht der Gutachterin (z.B. gegenüber dem Auftraggeber),
Rolle der Gutachterin (keine Therapeutin, die Gutachterin soll so neutral und objektiv wie möglich sein).

Ziel

Vertraut machen mit den Modalitäten der Begutachtung,
Vertrauen herstellen.

3. Schritt

Erhebung
der Vorgeschichte des Täters/der Täterin

Zentrale
Inhalte
Angaben der beschuldigten Person zur Familie, dem Lebenslauf – erste
Lebensjahre, Kindergarten, Schule, Beruf,
Sexualität und Beziehungen
(Freundschaften, Partnerschaften, Ehe, eigene Kinder).
Angaben zu früheren und
aktuellen Erkrankungen sowie zu Konsum von
Alkohol und Drogen.
Ferner Angaben
zum Tatgeschehen (z.B. Abweichungen von den
Akten, Motiv, Auseinandersetzung mit der Tat, Reue, Mitgefühl mit
dem Opfer).
ZielEs soll ein möglichst umfassendes Bild von dem Täter/der Täterin gewonnen werden. Es geht nicht nur um den
tabellarischen Lebenslauf einer
Person, sondern vor allem auch darum zu erfassen, wie diese
ihr bisheriges Leben, ihren Alltag gemeistert hat. Oder durch
welche Lebensumstände
psychische und körperliche Beeinträchtigungen
erlebt wurden und in welcher Form soziales Leben gestaltet
wurde.

4. Schritt



Erfassung des psychischen und körperlichen Befindens (zum
Zeitpunkt der Begutachtung und für den Zeitraum der zur Last gelegten Tat)

Zentrale
Inhalte
Der sogenannte psychopathologische Befund erhebt Angaben zum
Bewusstsein (z.B. wach, schläfrig), zur
Orientierung (wer bin ich, wo bin
ich, in welcher Situation befinde ich mich, was ist mein zeitlicher
Kontext?).
Angaben zum Kurz- und Langzeitgedächtnis,
zum Vorgang des Denkens (z.B.
geordnet, ungeordnet, logisch, zusammenhängend,
unzusammenhängend), zu den Inhalten des Denkens (realitätsbezogen,
Realitätsverlust).
Zudem, ob
Sinnestäuschungen vorliegen (z.B.
Halluzinationen in Form von Stimmen hören), zur Stimmung, die
z.B. depressiv oder auch euphorisch sein
kann und auch zum Antrieb
(vermindert, gesteigert). Weitere Fragen betreffen
Befindlichkeitsveränderungen im
Laufe des Tages oder auch
Schlafstörungen.
Wichtig ist auch die Erfassung der Persönlichkeit: Wie wird die Person
von sich selbst, wie von anderen wahrgenommen. Wie ist die Wertschätzung
der eigenen Person? Ist sie in der Lage, über sich
selbst, das eigene Tun nachzudenken? Wie sind Ausdauer-
und Durchhaltevermögen? Wie wird
mit Frustration umgegangen, wird
Verantwortung für sich selbst und andere übernommen? Wie geht
man mit sich selbst, wie mit anderen um? Hat
die Person Mitgefühl?
Psychologische
Tests können weiteren Aufschluss bringen.
ZielErfassung
und Beschreibung des psychischen und körperlichen Gesundheitszustandes. Gesund
oder krank? (Diese Zustände können zum Zeitpunkt der Begutachtung
und zum Zeitpunkt der Tat weit auseinanderliegen).

5. Schritt

Beurteilung
Zentrale Inhalte

Liegt eine psychische Störung vor? Diagnose? Hat
diese Störung bei Begehung der Tat eine Rolle gespielt?  Wenn
ja: Wurde dadurch die Schuldfähigkeit gemindert oder aufgehoben?



Ist das Rückfallrisiko erhöht?

Wenn
ja: Kann man das Rückfallrisiko mit einer Therapie senken? Wenn
ja? Gibt
es eine passende Therapie? Gibt
es eine geeignete Institution für eine Therapie?
Ist
der Täter/die Täterin bereit, sich behandeln zu lassen?
ZielDie
Fragen des Auftraggebers (Staatsanwaltschaft oder Gerichte) beantworten zu können.

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