Für die Bauingenieure ist die Arbeit am Gotthardbasistunnel schon seit einiger Zeit vorbei. Wenn Sie sich treffen, schauen sie auf das Erreichte zurück, zum Beispiel an der Vernissage eines Buches zum Bau des längsten Tunnels der Welt im Verkehrshaus Luzern.
Luzi Gruber, einer der federführenden Ingenieure steht vor einem Profil des Gotthardbasistunnels im Massstab 1 zu 1000 und erinnert sich zurück ans Jahr 2000, als die Tunnelbauunternehmen ihr Offerten machen mussten für den Bau der NEAT.
Die Bauunternehmen mussten Mehrkosten schultern, die sie niemandem weiterbelasten konnten. Wie hoch die Verluste genau gewesen sind, will keines der beteiligten Unternehmen öffentlich machen.
Vier Konsortien, also Zusammenschlüsse von Unternehmen arbeiteten am Gotthardtunnel an fünf Bauaufträgen – sie bohrten von Bodio und Faido im Tessin aus, sowie von Sedrun, Amsteg und Erstfeld in den Kantonen Graubünden und Uri. Jedes dieser Lose, also Baustellen, hatte ein Volumen zwischen einer halben und anderthalb Milliarden Franken.
Umkämpfte Baulose
Und die Lose waren begehrt. Die Unternehmer stritten sich beispielsweise um die Nordlose bis vor Gericht. Jahre später beklagte sich die siegreiche federführende Firma Strabag öffentlich, dass sich die Lose Erstfeld und Amsteg finanziell nicht gelohnt hätten. Heute will bei Strabag niemand gegenüber Radio SRF Stellung nehmen.
Luzi Gruber, der im Tessin beim Consorzio TAT und in Sedrun für den Implenia-Konzern beteiligt war, meint einzig, dass das Los Sedrun mit einem kleinen Gewinn, die Lose Bodio und Faido mit einer Punktlandung abgeschlossen hätten. Klar ist, bereits kleine Abweichungen von den Prognosen können bei grossen Projekten wie dem Gotthardbasistunnel grosse finanzielle Konsequenzen haben.
Vermeidbare Fehler?
Was hätten die Bauunternehmen anders machen müssen? Luzi Gruber glaubt, dass vieles nicht vorherseh- und deshalb nicht vermeidbar war. Einzig die Organisation würde er ein nächstes Mal straffer gestalten: Auf der Grossbaustelle hätten Sabotage und Schlampereien unnötige Mehrkosten verursacht.
Finanziell entscheidend besser würde die Bilanz jedoch auch mit mehr Disziplin nicht aussehen, räumt Gruber ein. Und die Gewerkschaften beklagen, dass die Bauarbeiter schliesslich die Zeche bezahlt hätten, weil die Unternehmer den Kostendruck weitergegeben und Löhne zum Teil unrechtmässig gedrückt hätten. Sie wehrten sich unter anderem in Sedrun mit Protestaktionen und Arbeitsniederlegungen.
Haben die Bauunternehmer beim Offerieren zu knapp kalkuliert, um an die begehrten Grossaufträge zu kommen? Schliesslich lagen die Angebote der unterschiedlichen Konsortien bis 20 Prozent auseinander im Preis. Der frühere SVP-Nationalrat und Präsident der NEAT-Aufsichtskommission des Parlaments, Max Binder, kann sich das gut vorstellen.
Gewisse Unternehmer hätten sich wohl zu weit aus dem Fenster gelehnt beim Offerieren und dann versucht, mit Nachforderungen trotzdem noch an Geld zu kommen. Da sei die Bauherrschaft, die Alptransit Gotthard jedoch streng gewesen. Grundsätzlich seien Mehrkosten nur dann vergütet worden, wenn diese durch die Geologie bedingt waren.
Reputation als Gewinn
«Dass am Schluss für die Bauunternehmen finanziell wenig bis nichts herausgeschaut hat, das kann durchaus sein», meint Max Binder. Allerdings hätten die Unternehmen am Gotthard wertvolle Erfahrungen sammeln und vor allem ihr internationales Ansehen steigern können.
Dem stimmt auch Luzi Gruber zu. Unter dem Strich habe sich die Arbeit am Gotthardbasistunnel für die Unternehmer schon gelohnt, denn «wenn man weltweit auftritt und über das Projekt Gotthard spricht, dann hören einem die Leute zu.»
Kleinere Projekte im Inland, grosse im Ausland
Doch was bringt das neue Ansehen und die Erfahrung den Schweizer Tunnelbaufirmen konkret? Ein ähnlich grosses Projekt wie das des Gotthardbasistunnels ist nicht geplant, stellt Georgios Agnostu, Professor für Untertagbau an der ETH Zürich, fest.
Trotzdem glaubt er, dass in der Schweiz auch in den nächsten Jahren jeweils 20 bis 30 Kilometer Tunnel gebohrt werden – neben Eisenbahn- auch Strassentunnels, Wasserstollen, etc. Untertagbau sei zwar teuer, aber bei den stetig steigenden Bodenpreisen würde künftig immer mehr auch andere Infrastruktur unterirdisch gebaut, ist der ETH-Professor überzeugt. Er kann sich beispielsweise vorstellen, dass Goldküstengemeinden ihre Kläranlagen nicht teuer an der Oberfläche, sondern unterirdisch bauen.
Den Tunnelbauern wird die Arbeit dank vieler kleinerer Projekte also nicht ausgehen. Und die Erfahrungen aus dem Grossprojekt NEAT werden sie im Ausland einbringen können. Der erste Gotthardtunnel im 19. Jahrhundert wurde mit ausländischem, vor allem französischem Knowhow gebaut. Unterdessen hat die Schweizer Tunnelbauindustrie sich selbst international einen guten Ruf erworben. Der Gotthardbasistunnel hat ihnen zusätzlich Schub gegeben.
Die Hauptlose am Gotthard
Los | Ursprüngliches Angebot in Mio. Fr. | Effektiv abgerechnete Beträge in Mio. Fr. | Ausführendes Konsortium | Gewinn des Konsortiums |
---|---|---|---|---|
151 Erstfeld | 421 | 453 | ARGE AGN (Murer, Strabag) | Keine Angaben |
252 Amsteg | 628 | 651 | ARGE AGN (Murer, Strabag) | Keine Angaben |
360 Sedrun | 1160 | 1513 | ARGE Transco-Sedrun (Implenia, Frutiger, Bilfinger, Pizzarotti) | 5 Prozent |
452 Faido & 554 Bodio | 1466 | 2359 | Consorzio TAT – Tunnel Alptransit Ticino (CSC, Zschokke-Locher (heute Implenia), Hochtief, Alpine, Impregilo) | 0 |
Bahntechnick | 1700 | ca. 1900 (Schätzung) | transtec gotthard (Atel Installationstechnik AG, Zürich (heute Alpiq Intec), Alcatel-Lucent Schweiz AG, TRSS – Thales Rail Signaling Solutions AG Zürich et al.) |