Die englische Zeitung «The Guardian» pflegt eine Kolumne, in der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen anonym kritische Artikel veröffentlichen können. Bei den Recherchen für meinen Film über Liska Bernet stiess ich in einem dieser Artikel, Link öffnet in einem neuen Fensterim Browser öffnen auf eine spannende These.
Die Flüchtlingskatastrophe in Griechenland sei der definitive Beweis für das Versagen der grossen Hilfsorganisationen. Im Gegensatz zu Ländern wie Haiti, Sudan oder Afghanistan gebe es im Fall von Griechenland keine Entschuldigung, warum die Hilfe gar nicht oder nur schleppend bei den Bedürftigen ankomme. Kein unwegsames Gebiet, das die Logistik erschwere, kein korruptes Regime, dem man nicht trauen könne, keine Naturkatastrophen, die das Leben der Helfer gefährdeten.
Unbürokratische Hilfe
Kurz: In Griechenland wären die Bedingungen für die humanitäre Hilfe ideal. Trotz rund 300 Millionen Euro an Hilfsgeldern gelingt es dem offiziellen Europa nicht oder nur lückenhaft das Flüchtlingselend zu lindern. Kleine, unabhängige Gruppen von engagierten Laien haben die grossen Organisationen längst überholt. Sie leisten unbürokratisch Nothilfe und füllen die beschämenden Lücken in der Betreuung der traumatisierten und schutzlosen Menschen.
Ich habe dieselben Beobachtungen gemacht. Im Januar 2016 dokumentierte ich die Flüchtlingskatastrophe auf der griechischen Insel Lesbos. Tausende von Menschen riskierten ihr Leben um auf heillos überfüllten Gummibooten nach Europa zu gelangen. In Spitzenzeiten landeten die Boote im Minutentakt an der Küste.
Am Strand waren weit und breit nur freiwillige Helferinnen und Helfer zu sehen. Keine Blaulichtorganisationen, kein Militär, kein Zivilschutz. Laien sorgten dafür, dass die völlig verängstigten und unterkühlten Menschen sicher an Land kamen und sich aufwärmen konnten. Junge Aktivisten bauten ein inoffizielles Camp auf, damit die Menschen auf der Flucht wenigstens eine minimale Infrastruktur nutzen konnten.
Keine einheitliche Strategie
Das gleiche Problem traf ich im Sommer in Athen wieder an. In der griechischen Hauptstadt leben rund 10'000 Flüchtlinge in prekären Verhältnissen. Es gibt keine einheitliche Strategie, keine funktionierende Koordinationsstelle für die Flüchtlingshilfe.
Darum baute Liska Bernet zusammen mit Gleichgesinnten ein Flüchtlingszentrum auf. Es ist das einzige dieser Art in Griechenland. Mit einfachsten Mitteln und minimalem Budget haben Freiwillige ihrer Hilfsorganisation Khora, Link öffnet in einem neuen Fensterim Browser öffnen auf acht Stockwerken einer ehemaligen Druckerei ein Zentrum mit vielfältigen Angeboten eingerichtet.
Liska Bernet
Die 27-jährige Zürcherin studierte Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Nothilfe an der London School of Economics. Seit einem Jahr lebt sie in Griechenland. Ihre Hilfsorganisation Khora betreibt ein Sozialzentrum in Athen. Dieses wird mit privaten Spenden und Geldern von gemeinnützigen Vereinen und Stiftungen finanziert.