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Notoperation in Griechenland: Krankenkasse will nicht zahlen
Aus Kassensturz vom 04.04.2017.
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Korruption im Gesundheitswesen Notoperation in Griechenland: Krankenkasse will nicht zahlen

Das Wichtigste in Kürze:

Maria Meier musste sich wegen einer geplatzten Gallenblasse in Griechenland notoperieren lassen.

  • Die Behandlung und Pflege fand nach Angaben der Versicherten nur statt, weil sie die Ärzte bar und ohne Quittung bezahlte.
  • Korruption namens Fakelaki war in Griechenland bis im Herbst 2015 gang und gäbe.
  • Die Swica will die 12‘000 Euro nicht rückerstatten. Sie will die Versicherte mit 7700 Franken abspeisen.
  • Experten erklären im «Kassensturz»: Die Swica könnte den Betrag, der in der Schweiz für die Operation angefallen wäre, rückerstatten.

Maria Meier ist seit über 50 Jahren bei der Swica versichert; glaubte, mit ihrer Privatversicherung für alle Notlagen gewappnet zu sein. Im Herbst 2015 musste sie ihre Krankenkasse bemühen.

Eine Notoperation aufgrund einer geplatzten Gallenblase, entzündetem Bauchfell und einer Blutvergiftung zwangen sie dazu. «Mit 40 Grad Fieber und Schmerzen war ich nicht mehr gesprächsfähig.»

Marodes Gesundheitssystem und Korruption

Die damals 70-jährige Maria Meier musste sich auf die Hilfe ihres Mannes und die ihrer Schwester verlassen. Die gebürtige Griechin wurde am Freitagabend des 2. Oktobers 2015 ins öffentliche Krankenhaus in Tripolis eingeliefert. «Ich wollte in diesem Moment einfach nur, dass die Schmerzen aufhören. Es wäre mir sogar Wurst gewesen, zu sterben.»

Noch in derselben Nacht organisiert Maria Meiers Schwester Bargeld. Die Ärzte wollen Geld für die Behandlung der totkranken Patientin. 12‘000 Euro fliessen in die Hände verschiedener Ärzte. Das Gesundheitssystem in Griechenland ist zum Zeitpunkt der Notoperation völlig marode. Ärzte erhalten kaum mehr Lohn vom Staat und behelfen sich schon länger mit der Fakelaki – eine grassierende Form von Korruption, auch im Gesundheitswesen.

Bargeldzahlung ohne Quittung - damals nichts Aussergewöhnliches

Der Ehemann von Maria Meier informiert von Griechenland aus die Krankenkasse über die Notoperation und die Umstände vor Ort. Dabei erwähnt er, dass Bargeld ohne Quittung geflossen sei. Er berichtet von 700 Euro, die er bezahlt hätte – von den restlichen 12‘000 Euro, welche die Schwester organisiert hat, weiss er offenbar nichts.

Die Swica-Callcenter-Mitarbeiterin scheint über die Bargeldzahlung erstaunt zu sein und bezeichnet dies als aussergewöhnlich. Eine Warnung, dass Barzahlungen ohne Quittung nicht zu entrichten seien, bleibt auch bei den nachfolgenden Telefonkontakten mit der Patientin aus.

Ärger, Papierflut und Wut

Zurück in der Schweiz beginnt für die langjährige Versicherte der Administrationskrieg mit der Swica. Trotz Einreichen aller verfügbaren Dokumente aus Griechenland und einer Auflistung der geleisteten Zahlungen will die Swica mehr Belege.

«Damit wir eine Beteiligung der Pflegekosten prüfen können, bitten wir Sie, eine detaillierte Auflistung der durchgeführten Arbeiten mit Zeitangaben weiterzuleiten. Ebenfalls sind wir auf eine Kopie der Diplome der Pflegepersonen angewiesen.»

Für Maria Meier ist diese Forderung eine zu viel: «Das war für mich das Letzte. Ich habe gesagt: Spinnen die! Muss ich jetzt wieder nach Griechenland gehen um Diplome des Personals einzuholen?»

Die Versicherung könnte zahlen – wenn sie wollte

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Christoph Zenger, Direktor des Zentrums für Gesundheitsrecht an der Universität Bern studiert für «Kassensturz» den Fall. Er streicht heraus: Trotz fehlenden Quittungen hätte die Swica die Möglichkeit, die Kosten zu übernehmen. «Es gibt eine EU-Verordnung, die dieses Verhältnis thematisiert und die besagt: Wenn keine Belege vorliegen, kann die Versicherung die Kosten nach schweizerischem Recht ausrechnen und diese erstatten, wenn die versicherte Person damit einverstanden ist.»

Nach langem hin und her und nachdem die Versicherte alle Dokumente aus dem Griechischen ins Deutsche übersetzt hat, lenkt die Swica ein und macht ihrer langjährigen Versicherten ein Angebot. Sie schreibt, «denjenigen Betrag zu übernehmen, der bei der Durchführung desselben Eingriffs in der Schweiz angefallen wäre.» Die Swica will Maria Meier mit gut 7700 Franken abspeisen. Die Krankenkasse nimmt dabei eine einfachere Operationsart an, als effektiv angewandt wurde.

Kosten von über 15‘000 Franken – in der Grundversicherung

Eine Notoperation mit sechstägigem Aufenthalt in der Schweiz. Für 7700 Franken? Maria Meier kann das nicht glauben und fragt bei unterschiedlichen Krankenhäusern im Kanton Zürich nach. Auch «Kassensturz» holt einen Kostenvoranschlag für die Behandlung in Griechenland ein.

Eine Notoperation aufgrund einer geplatzten Gallenblase: Jörg Volbracht, Leiter Medizincontrolling am Uni-Spital Zürich, berechnet: «Diese Operation bei der Patientin wird, nachdem was wir sehen können, auf jeden Fall offen chirurgisch ausgeführt. Damit würde sie als allgemein versicherte Person mindestens 15‘800 Schweizer Franken kosten.»

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Wenn man die Blutvergiftung der Patientin in den Vordergrund stellen würde, käme der Preis bei 29‘300 Schweizer Franken zu liegen.» Dies – wohlgemerkt – für eine allgemein versicherte Patientin.

Swica bleibt stur

Auf Anfrage von «Kassensturz» schreibt die Swica: «Wir kennen das Problem der Schwarzgeldzahlungen bei Spitalaufenthalten in Griechenland und wissen, dass unsere Versicherten solche Schwarzgeldzahlungen teilweise tätigen. Es handelt sich dabei nie um so hohe Beträge, wie dies bei Frau Meier der Fall war.»

Die Swica könne Barzahlungen ohne Belege nicht rückvergüten. «Trotzdem hat Swica der Kundin auf freiwilliger Basis eine Vergleichszahlung angeboten, denn dass Frau Meier sich in Griechenland einer Notoperation unterzogen hat, ist unbestritten.» Wenn die Versicherte mit dem Betrag von gut 7700 Franken nicht einverstanden sei, könne sie ans zuständige Versicherungsgericht gelangen.

Enttäuschung pur

Für die heute 72-jährige Maria Meier bleibt nach mehr als einem Jahr Streiterei und Papierkrieg Enttäuschung und Unverständnis zurück. Ihr fehlt die Energie, um vor Gericht zu prozessieren. Deshalb hat sie das Vergleichsangebot angenommen.

«Während mehr als 40 Jahren habe ich pünktlich meine Prämien für die Privatversicherung einbezahlt. Nun, in der Notsituation, lässt man mich hängen. Ich habe der Swica einen Brief geschrieben und ihr mitgeteilt: Sie sind die Enttäuschung meines Lebens.»

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