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Ruin statt Hauptgewinn: So nimmt Reader’s Digest Kunden aus
Aus Kassensturz vom 18.04.2017.
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Konsum Ruin statt Hauptgewinn: So nimmt Reader’s Digest Kunden aus

Der Verlag Reader’s Digest ködert mit grossen Gewinnversprechen. Ein Rentner hat an die Gewinne geglaubt, und alles Geld verloren. Mit raffinierten Methoden bindet Reader‘s Digest Kunden und bringt sie dazu, Produkte zu kaufen, die sie gar nicht brauchen.

Tausende Franken hat der betagte Rentner Max Hofmann für Produkte ausgegeben, für die er gar keine Verwendung hatte. Er bestellte sie beim Verlag Reader’s Digest einzig in der Hoffnung, den grossen Preis von 600'000 Franken zu gewinnen. Fast 15 Jahre lang bestellte er Bücher, DVDs, CDs, Puzzles, Familienspiele und vieles mehr und glaubte damit seine Chancen auf den Gewinn zu erhöhen.

Vieles davon liegt noch heute ungeöffnet in seinem Zimmer. Max Hofmann bestellte, bis er kein Geld mehr hatte. Dann nahm er sich in seiner Verzweiflung das Leben. «Kassensturz» behauptet nicht, dass Max Hofmann es wegen Reader’s Digest getan hat. Doch es wäre auch falsch zu sagen, sein Tod habe mit Reader’s Digest nichts zu tun.

Der Traum vom Hauptgewinn

Heidi Hofmann, die Ehefrau des Verstorbenen, beschreibt dessen Verhalten so: «Mein Mann war richtig süchtig. Er war sicher, dass er die 600'000 Franken gewinnt, wenn er etwas bestellt und er hat immer wieder bestellt. Er liess sich nicht davon abbringen. Auch wenn er fast kein Geld mehr hatte. Er hat immer alles zusammengekratzt und hat bestellt, weil er die 600'000 Franken gewinnen wollte.»

Werbebrief
Legende: SRF

Max Hofmann hat die Briefe und Werbepost von Reader’s Digest aufbewahrt. Auf dem Esstisch von Heidi Hofmann stapeln sich die Dokumente. Sie zeigen, wie der Verlag die Leute bearbeitet: Den Adressatinnen und Adressaten wird in den Schreiben immer wieder ein unmittelbar bevorstehender Gewinn suggeriert.

«Ehrenkunde des Jahres»

Es werden «maximale Chancen und Vorteile» versprochen, die «Zulassung zum Final» stehe unmittelbar bevor. Eine «Auszahlung» sei «garantiert». Ausserdem gibt sich Reader’s Digest einen offiziellen Anstrich - mit Pseudo-Stempeln und gedruckten Unterschriften und tut alles dafür, dass sich der Empfänger als etwas Besonderes fühlt. Der Verlag spricht ihn an als «wertgeschätzter Ehrenkunde», er gehöre zu den « 6% aller Kunden, die ausgewählt wurden», zur «Top 1% Elite», er sei gar «Ehrenkunde des Jahres».

Zeugnis
Legende: Das Zeugnis für sich gut benehmende Kunden. SRF

Perfid: Der Verlag Reader’s Digest vermengt konsequent Gewinnspiel und Kaufangebote. So erhält die Leserin den Eindruck, mit einer Bestellung erhöhe sie ihre Gewinnchancen. Im gleichen Satz ist die Rede von einem «einzigartigen DVD-Katalog» und von «lukrativen Gewinnchancen». Kunden erhalten gar ein «Zeugnis», in welchem ihr Kaufverhalten bewertet wird mit gut oder sehr gut.

Gewinne als gefährliche Köder für Suchtkranke

Und dieses Verhalten führt zu einer zusätzlichen Chance. Zitat: «Ihre Gewinnchancen auf der Basis dieser Leistungen: Max Hofmann darf teilnehmen an der Verlosung des Ehrenpreises teilnehmen und erhält im Gewinnfall 15'000.» Heidi Hofmann sagt dazu: «Mein Mann hat alles geglaubt, was sie ihm geschrieben haben. Wirklich alles. Er hat sich geschmeichelt gefühlt, dass er so bekannt ist dort, so ein guter Kunde und dass er jetzt dann an der Reihe ist.»

Experte
Legende: Franz Eidenbenz kritisiert das Ködern mit dem unmittelbar bevorstehenden Gewinn. SRF

Der Psychologe und Psychotherapeut Franz Eidenbenz vom Zentrum für Spielsucht und andere Verhaltenssüchte der Gesundheitsstiftung Radix in Zürich hat die Unterlagen von Reader’s digest für Kassensturz analysiert. Eidenbenz kritisiert das Ködern mit dem unmittelbar bevorstehenden Gewinn. Für manche Menschen sei das sehr gefährlich: «Die Briefe, die ich lesen konnte, deuten klar drauf hin, dass ich als Leser den Eindruck erhalte, ich gewinne jetzt dann grad. Ich habe sozusagen den Fastgewinn im Sack.»

Weiterspielen um zu gewinnen

Ein Beispiel: Sie sind bereits jetzt zu hundert Prozent für die 800'000 Franken-Chance registriert. Dieser Text löse bei Betroffenen etwas aus: «So hat ein Spieler, der ein Problem hat, sich zu kontrollieren, das Gefühl, ich muss weiter machen, dann gewinne ich sicher», sagt Franz Eidenbenz.

Ältere Menschen seien besonders gefährdet: «Wenn man älter ist und viel Post erhält und man wird wichtig genommen, dann gibt das einem ein gutes Gefühl. Und wenn man dann noch persönlich angesprochen wird hat man das Gefühl, ich gehöre wieder dazu, ich bin sozusagen wieder in der Welt mit dabei.»

Jahrelang hat Max Hofmann gehofft und auf den erlösenden Brief im Briefkasten gewartet. Doch es gab auch andere Phasen. Nicht zuletzt auf Anraten seiner Frau habe er sich an den Verlag gewandt. Heidi Hofmann sagt, ihr Mann habe mehrmals versucht, die Post von Reader’s Digest abzustellen: «Ich weiss, dass er verschiedene Male geschrieben hat, sie sollten aufhören, dass er alles sein Altersgeld durch habe. Und dann habe sie angerufen. Und ich habe geschrieben und es hat nichts genützt.»

Reader's Digest ignoriert Warnsignale

Eine Weile sei zwar keine Post von Reader’s Digest mehr gekommen. Doch dann habe der Verlag ihrem Mann wieder Angebote gemacht. Und Max Hofmann bestellte wieder. Solange das Geld reichte. Heidi Hofmann erzählt «Kassensturz», was dann geschah: «Im Juni wäre noch eine Ziehung gewesen und er hat Ende Mai gesehen, dass er kein Geld mehr hat. Nur noch 25 Franken. Er realisierte, dass er nicht mehr bestellen kann, weil er ja nicht mehr bezahlen konnte. Da hat er, als ich nicht zuhause war, die Pistole genommen und sich erschossen.»

Für den Psychologen Eidenbenz ist der tragische Ausgang des Falles Max Hofmann keine Überraschung: «Bei Glücksspielsüchtigen ist das Risiko, dass sie sich etwas antun, wenn Sie viel Geld ausgegeben haben und in einer verzweifelten Situation sind, erhöht.»

Reader’s Digest: «Wir werden das interne Warnsystem überprüfen»

Marketingleiter
Legende: Urs Anderegg bezeichnet die Vermengung von Gewinnspiel und Produkteanpreisung als «spielerische Elemente». SRF

Reader's Digest sagt im Interview gegenüber «Kassensturz», sie hätten vom Freitod von Max Hofmann erst vor drei Wochen durch SRF erfahren. Sie seien sehr betroffen und entböten Frau Hofmann ihr Beileid.

Zum zentralen Vorwurf, dass den Kunden suggeriert werde, eine Bestellung erhöhe die Gewinnchance, sagt Marketingchef Urs Anderegg, in jedem Versand werde mehrmals erwähnt, dass eine Teilnahme am Gewinnspiel nicht von einer Bestellung abhänge. Die Vermengung von Gewinnspiel und Produkteanpreisung bezeichnet Anderegg als «spielerische Elemente».

Anderegg räumt ein, man habe Max Hofmann nach seinem Ausstieg wieder angeboten, Produkteangebote und Gewinnspiele zuzusenden. Max Hofmann habe dies angenommen. Schliesslich verspricht Urs Anderegg, man werde das interne Warnsystem überprüfen und allenfalls verbessern.

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