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Langzeitfolgen der Dauerbeschallung
Aus Puls vom 24.09.2012.
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Auf Dauer macht der Lärm uns krank

Unser Ohr stellt sich nie ab. Selbst wenn wir schlafen nimmt es Geräusche auf, die das Gehirn dann verarbeitet und dabei entscheidet, ob es uns in Alarmbereitschaft versetzt und aufweckt oder friedlich weiterschlummern lässt. Lärm, der auch nachts nicht abreisst, geht deswegen an die Substanz.

Es muss nicht immer laut sein, was stresst. Schon leise Geräusche können auf Dauer zusetzen – ein hochfrequentes Piepen beispielsweise, das Tropfen eines Wasserhahns oder das beständige Rauschen des Verkehrs. Dauergeräusche strapazieren die Nerven im Wachzustand, aber auch im Schlaf.

Das merken schon die Kleinsten: Bei einer Dauerbeschallung zwischen 50 und 90 Dezibel (dB) steigen laut einer Studie für das Bundesamt für Gesundheit die Lernschwierigkeiten von 0 auf 100 Prozent an. Zum Vergleich: Bei einem normalen Gespräch in Zimmerlautstärke sind 50 dB messbar, 70 dB entsprechen dem Lärm, den ein Rasenmäher verursacht, 80 dB dem Geräusch eines vorbeifahrenden Autos, 100 dB dem Kreischen einer Motorsäge. In der Schweiz sind rund 215‘000 Kinder durch dauernden Verkehrslärm in ihrer Wohnumgebung so belastet, dass ihre Lernprobleme mit darauf zurückzuführen sein könnten.

Strassenverkehr nervt am meisten

Generell scheint Strassenlärm den weitaus grössten Teil der Schweizer zu belasten. Durch ihn fühlen sich viel mehr Menschen gestört als durch Bahn- oder Fluglärm – wohl auch deshalb, weil sehr viel mehr Menschen von ihm betroffen sind. 810‘000 Menschen fühlen sich durch ihn zum Teil massiv gestört, 335‘000 von ihnen auch nachts. Lärm durch Züge rauben 36‘500 Menschen den Schlaf, Flugzeuge verursachen bei 775 Menschen Schlafstörungen.

Die Folgen sind stets die gleichen: Lärm verursacht Stress. Die Reaktionen des Körpers sind sehr gut messbar: Atem- und Herzfrequenz erhöhen sich. Auch Hirnströme, Muskeln und Hautwiderstand zeigen deutliche Veränderungen. Die Produktion von Magensaft und Speichel nimmt ab, das erhöht das Risiko für Magengeschwüre. Ein erhöhter Stresspegel wiederum treibt den Blutdruck in die Höhe und fördert Herz-Kreislauf-Krankheiten, schlägt auf den Magen und die Psyche.

Nimmt der Geräuschpegel auch nachts nicht ab, verkürzt sich die REM-Phase des Schlafs. Dafür reichen schon Geräusche ab 30 dB aus – das entspricht einer dauerhaften Unterhaltung im Flüsterton. Ab 45 dB (etwa der Lautstärke einer Unterhaltung in Zimmerlautstärke) schütten Schlafende vermehrt Stresshormone aus und kommen auch nachts nicht zur Ruhe. Dadurch lässt nicht nur die Leistungsfähigkeit tagsüber nach, sondern die Lärmbelastung wirkt sich auch auf das Verhalten aus und steigert beispielsweise die Aggressivität.

Gewöhnung – aber keine Gelassenheit

Dass der Körper auf Geräusche so stark reagiert, ist ein Instinkt. In der freien Natur war es für unsere Vorfahren überlebenswichtig, schnell auf Umgebungsgeräusche zu reagieren und den Körper sofort in Alarmbereitschaft zu versetzen. Dazu erhöht er sofort den Blutdruck und Herzschlag und schüttet grosse Mengen an Stresshormonen wie Adrenalin, Noradrenalin oder Cortisol aus. In der heutigen, lauten Welt stellen längst nicht mehr alle Geräusche eine unmittelbare Bedrohung dar – der Körper hat sich auf diese Veränderungen jedoch noch eingestellt. In manchen Fällen tritt ein Gewöhnungseffekt ein – und nicht jeder reagiert auf jedes Geräusch gleich sensibel. Unbeeindruckt von einer dauerhaften Geräuschkulisse bleibt jedoch niemand.

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