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Mensch Wie soll man mit Risiken umgehen?

«Risiko - Wie man die richtigen Entscheidungen trifft», so heisst das neue Buch des deutschen Psychologen Gerd Gigerenzer. Es ist ein wissenschaftlicher Ratgeber für eine bessere Lebensführung – basierend auf den neusten Erkenntnissen aus Psychologie und Statistik.

Der Pychologe ist Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Autor und mehrfach ausgezeichneter Forscher.
Legende: Gerd Gigerenzer: Der Pychologe ist Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Buchautor und häufig ausgezeichneter Forscher. Dietmar Gust / Random House

Gerd Gigerenzer hat eine Mission: Er möchte die Menschen dazu bringen, mit Risiken besser umzugehen. Viel zu oft würden wir wichtige Entscheidungen an Experten delegieren, sagt der Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin. Und das kommt nicht immer gut. Anhand von Beispielen aus der Finanzwelt und der Medizin illustriert Gigerenzer, wie selbst Experten sich täuschen.

So untersuchte der Psychologe in einer Studie etwa, wie gut die Prognosen für den Euro-Dollar-Wechselkurs sind, den die grössten deutschen Banken regelmässig herausgeben. Dabei verglich er die Prognosen mit dem tatsächlichen Verlauf des Wechselkurses.

Seine Resultate sind ernüchternd: Die Prognosen liegen nur dann richtig, wenn der Trend sich fortsetzt, also der Kurs über mehrere Jahre ansteigt oder fällt. Aber sie sind nicht in der Lage, eine Trendänderung vorauszusagen, also wenn der Kurs nach einer Periode des Steigens plötzlich fällt und umgekehrt. Gerade das aber wäre wichtig zu wissen. «Die Vorhersagen von Wechselkursen sind so gut wie wertlos», sagt Gigerenzer.

Kalkulierbares Risiko – oder eine Ungewissheit?

Die Vorhersagbarkeit der Welt werde allgemein überschätzt, sagt der Psychologe: «Man denkt, man könnte Dinge vorhersagen, die man gar nicht vorhersagen kann.» Sei es zu berechnen, wann der nächste Börsencrash kommt oder die nächste Grippe-Pandemie droht. Zentral für Gigerenzer ist die Unterscheidung von bekannten Risiken und Ungewissheit. Nur bekannte Risiken lassen sich berechnen – Ungewissheit nicht. Der Wechselkurs von Währungen zum Beispiel unterliege vielen Ungewissheiten und lasse sich daher von den besten Experten der Welt nicht vorhersagen.

Bei Ungewissheit sei das Bauchgefühl oft die beste Entscheidungshilfe, so Gigerenzer, nicht nur in der Finanzwelt. So habe sich einmal ein Freund zwischen zwei Frauen entscheiden müssen. Er fertigte eine Liste mit den Vor- und Nachteilen beider Frauen an. Am Ende stand eindeutig fest, dass die eine besser abschnitt als die andere. Doch als der Freund das Ergebnis seiner Liste sah, wusste er, dass er die andere wollte.

Brustkrebs-Untersuchungen als Zahlenbeispiel

Doch auch wenn alle Risiken bekannt sind, und keine Ungewissheit das Bild verkompliziert, kommen Fehlentscheide vor. Etwa in der Medizin. Als Beispiel führt Gigerenzer die Mammografie an, also die Früherkennung von Brustkrebs durch eine Röntgenuntersuchung. Diese ist in grossen Studien an mehreren Hunderttausend Frauen untersuchten worden. Der Nutzen der Mammografie wird aber oft überschätzt, weil die relevanten Zahlen aus diesen Studien auf eine Art und Weise angegeben werden, dass sie nur schwer verständlich sind – sowohl für Ärzte als auch für Laien.

Audio
Risiko - wie man die richtigen Entscheidungen trifft
aus Wissenschaftsmagazin vom 06.04.2013.
abspielen. Laufzeit 7 Minuten 40 Sekunden.

So wird bei der Mammografie oft die so genannt relative Risikoreduktion genannt. Diese lautet: Frauen, die zur Mammografie gehen, sterben 20 Prozent weniger häufig an Brustkrebs als Frauen, die auf die Mammografie verzichten. Diese Zahl klingt eindrücklich, ist aber irreführend. Denn ausgedrückt in absoluten Zahlen lautet der gleiche Sachverhalt für die betroffenen Frauen, die zwischen 50 und 60 Jahre alt sind: Von 1000 Frauen, die nicht zur Mammografie gehen, sterben innert fünf Jahren fünf Frauen an Brustkrebs. Wenn die tausend Frauen aber zur Mammografie gehen, sterben im gleichen Zeitraum nur vier Frauen an Brustkrebs, also eine weniger.

Eine von fünf – das sind die 20 Prozent, die oben genannt sind. Gerd Gigerenzer plädiert dafür, solche verwirrenden, relativen Risiken zu vermeiden und stattdessen absolute Häufigkeiten (eine von fünf Frauen) zu verwenden – sowohl in Patientenbroschüren als auch im Medizinstudium.

«Zwei gleichwertige Werkzeuge unseres Gehirns»

Schon in der Schule sollten Kinder die Grundzüge des statistischen Denkens lernen, fordert der Psychologe, und auch die Psychologie des Bauchgefühls. Denn für eine gute Entscheidungsfindung brauche es beides: «Es sind zwei gleichwertige Werkzeuge unseres Gehirns», sagt Gigerenzer. «Man muss sich einfach stets fragen: Wo lohnt es sich länger nachzudenken und wo soll ich meinem ersten Impuls folgen?»

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