Zwei Männer in Hosen und T-Shirt stehen sich gegenüber und fixieren sich stumm, während zwei weitere auftreten – in einer Schutzausrüstung wie Eishockey-Spieler. Entgegen unserer Erwartung beginnt kein verbissener Kampf zwischen ihnen, sondern ein freundliches Partnerspiel.
Anders die nächste Szene: Als sich der eine Mann im Alltags-Outfit, alle Viere von sich gestreckt, auf den Boden legt, quasi als Aufforderung, die anderen aufzufangen, schleudert er den schweren Eishockey-Spieler scheinbar mühelos von sich weg. Wie ein Ping-Pong-Bällchen.
Mehr als reine Zirkusartistik
Die vier Akrobaten gehören zur französischen Nouveau-Cirque-Truppe «Un loup pour l’homme». In knapp einer Stunde schaffen sie es, Erwartungen zu unterlaufen, Spannung aufzubauen und ihr Publikum mitzureissen.
Mit Pokerface, Unschuldsmiene und verschmitztem Lächeln lassen sie in Momentaufnahmen Geschichten um Männerkumpelei, um Solidarität, aber auch Konkurrenz aufblitzen: einmal ungeschliffen roh, dann wieder ganz subtil .
Witz und Selbstironie geben dem Stück Würze und Tiefenaroma. Der Abend «Face Nord» kommt federleicht daher, auch wenn man sieht, wie den Männern der Schweiss herunterläuft und ihre Kleider durchweicht.
Ungestüme Rhythmik
Doch «Un loup pour l’homme» ist weit mehr als das, was man aus dem traditionellen Zirkus kennt. In ihren zirzensischen Meisterstücken lassen die vier Akrobaten allzu Menschliches aufblitzen.
Wenn sie sich anrempeln und die ungestüme Rhythmik der Musik – eine Scarlatti-Sonate – dazu wie ein Teilchenbeschleuniger wirkt, erahnt man unter der dünnen Oberfläche eine latente Gewalttätigkeit.
Physische Unmittelbarkeit
Die Musik, durchwegs klassisch, kommt sparsam zum Einsatz. Nicht immer ist sie glücklich gewählt. Was hier ein Mahler-Lied aus dem Zyklus der «Kindertotenlieder» verloren hat, wundert man sich.
Wunderbar hingegen sind die vielen stillen, hochkonzentrierten Momente. Das Publikum hört nur das schwere Atmen der Künstler, die ohne «Fake» agieren und einem menschlich nahe sind.
Die vier Akrobaten bringen grosse Kraft, perfekte Körperbeherrschung und ein schon fast unwirkliches Mass an Gleichgewichtssinn auf, um ihre Menschenskulpturen zu stemmen, ohne Hilfe von Leitern oder Seilen.
Ein Berg aus Menschen
Sie klettern aneinander hoch, verschachteln sich in ungewöhnlichen Figuren und schliesslich steht eine aus Menschenleibern geformte Eigernordwand en miniature.
Zwischen zwei Rücken springt ein dritter Mann ohne Anlauf hin und her, und dabei vergrössert sich die Kluft dazwischen immer mehr. Staunen wie im Zirkus und dabei die geliebte Illusion von der Überwindung aller Schwerkraft.