Jeden Herbst präsentieren die ARD-Hörspieltage in Karlsruhe, was die Kunst zu bieten hat: mit Live-Hörspielen, Podiumsdiskussionen und Konzerten.
Jede ARD-Rundfunkanstallt schickt eine Eigenproduktion ins Rennen um den «Hörspiel-Oscar», in den «Wettbewerb Deutscher Hörspielpreis». In diesem Jahr sind ORF und SRF auch dabei: eine Premiere.
Vier Produktionen sind uns besonders aufgefallen oder sorgen allgemein für Diskussionen.
Ausschnitte von den ARD-Hörspieltagen
1. «Die lächerliche Finsternis»
Ultimo wollte Fischer werden. Aber das Meer ist leergefischt, und nun steht der junge Somali als Pirat vor Gericht. Parallel dazu sucht Hauptfeldwebel Pellner den durchgeknallten Deutinger, der irgendwo im afghanischen Dschungel zwei Kameraden erschossen hat. Angelehnt an Ford Coppolas «Apocalypse Now» fährt Pellner einen Fluss hoch – immer tiefer hinein in die Finsternis.
Wolfram Lotz' Hörspiel ist klugerweise nicht dokumentarisch. Der Autor spielt mit den Stilen, mit formaler, aber auch inhaltlicher Verfremdung: Piraterie kann man in dieser Geschichte an der Uni studieren.
Zudem erschafft Lotz starke Bilder: Wenn Ultimo vom Grund des leeren Meeres die blanke Wut entgegenleuchtet. Oder wenn er Pellner auf seinem Trip alles nimmt: das Boot, den Fluss, die Zuversicht, den Sinn.
(von Wolfram Lotz, SWR)
2. «The King is Gone»
König Ludwig III. von Bayern ist eine äusserst kuriose Gestalt. Er wird vom eigenen Volk «Milchbauer» genannt, da ihm Tiere wichtiger sind als Menschen. Doch die Menschen sind hungrig, unzufrieden und im November 1918 zetteln sie einen Revolution an.
Schon bald ist halb München auf den Beinen, um den König zu stürzen, während dieser noch nichtsahnend durch einen Park spaziert. Dort erzählt ihm freundlicherweise ein Passant, dass gerade die Monarchie abgeschafft wird. Der König reagiert – wie sollte es anders sein? – ziemlich überrascht und flüchtet bei Nacht und Nebel aus der Stadt.
Andreas Ammer hat diese unfreiwillige Komödie als Hörspiel-Musical umgesetzt. Der König hat den Blues und singt ihn auch. Die Revolutionäre skandieren ihre Forderungen im Takt einer Marschmusik. Die Hauskapelle spielt die grössten Hits aus Polka, Bluegrass und den Sixties. Im Hintergrund pfeift jemand die Internationale.
(von Andreas Ammer, Micha Acher und Markus Acher, BR)
3. «Geschichten aus der grossdeutschen Metropulle»
Wirtschaftswunder Deutschland, genauer Berlin: Langzeitarbeitslose, Rentnerinnen und sogenannte Einkommensschwache bezahlen den hohen Preis für dieses Wunder. Pointiert nimmt Ingrid Marschang die Themen auf in ihrem satirischen, schwarzhumorigen, nie larmoyanten Krimi.
Die Lebensumstände sind anstrengend und lebensfeindlich. Der Sozialstaat wird gezeichnet als Kontroll-Monster, bis in die privatesten Intimitäten. List, Witz, Mut und eine gehörige Portion Sarkasmus sind nötig, alldem lebend zu entkommen. Und doch gibt es menschliche Zuwendung: Alkoholiker Johnny hilft einer Frau, die ihren Sohn vermisst und Leiharbeiter Matsusuki lässt Johnny in «wogenden Reisweinfeldern» ausruhen, hinterlässt ihm sogar seine Zweitleber. So muss es auch zum Äussersten kommen: Johnnys schlimmster Feind stürzt ins Dekolletee der eisernen Kanzlerin und Johnny feuert mit dieser Kampfmaschine auf den Reichstag, auf die Springerpresse und die Deutsche Bank.
(von Ingrid Marschang, Krimitrilogie, 3. Teil: «Einigkeit und Recht und Freiheit», NDR)
4. «Orpheus in der Oberwelt: Eine Schlepperoper»
Es ist das «Hörspiel zur Stunde»: Die «Schlepperoper» setzt sich mit der Flüchtlingskrise auseinander. Diese brennende Aktualität macht das Hörspiel zu einem Favoriten im Wettbewerb der Hörspieltage. Zuvor wurde es auch schon als Hörspiel des Monats, sowie beim Prix Europa ausgezeichnet.
Die «Schlepperoper» ist eine Collage verschiedenster Elemente: Man hört Grenzbeobachter im O-Ton, Reflexionen über das Begriffspaar Schlepper und Fluchthelfer, Arien von Monteverdi und Gluck mit neuen Texten, und so weiter und so fort. Hier werden alle Möglichkeiten des Mediums Hörspiel ausgeschöpft, sagen die einen. Die anderen ärgern sich über eine Beliebigkeit, die dem Thema nicht annähernd gerecht wird.
(von andcompany&Co., WDR)