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Bühne «Die Weltwoche» auf der Anklagebank

Der Regisseur Milo Rau klagt «Die Weltwoche» in seinem Theatergericht an: Vorgeworfen werden der Zeitschrift «Schreckung der Bevölkerung», «Diskriminierung» und «Gefährdung der verfassungsmässigen Ordnung». Ein Prozess, der mit der Wirklichkeit spielt und die Grenzen des Theatralen auslotet.

Es ist ein besonderer Prozess: Auf der Anklagebank sitzt keine Person, sondern eine Zeitschrift, «Die Weltwoche». Ort des Prozesses ist kein Gericht, sondern ein Theater.

Im Theater Neumarkt tagt ein Gericht mit echten Zeugen, einem echten Richter und einer Anklage, die sich auf Artikel des Schweizerischen Strafgesetzbuchs beruft. Der Rahmen jedoch ist inszeniert: Die Gestaltung der Bühne, die Auswahl der Personen, die Dauer der Redezeiten, die Entscheidung ein Schöffengericht nach amerikanischem Vorbild einzusetzen - das ist alles Theater, fingierte Realität. Der Theaterabend pendelt zwischen Wirklichkeit und Inszenierung.

Der Weltwoche werden drei Punkte vorgeworfen: «Schreckung der Bevölkerung», «Rassendiskriminierung» und «Gefährdung der verfassungsmässigen Ordnung». Die Anklage stützt sich auf Artikel der «Weltwoche», die mit ihren Veröffentlichungen regelmässig polarisiert und sich klar gegen den Islam, die Roma, linke Politik, die politische Klasse der Schweiz und den juristischen Apparat des Landes stellt.

Der Theatermacher Milo Rau nutzt die reflexartige Empörung über «Weltwoche»-Publikationen, um seinem Prozess die nötige Aufmerksamkeit zu verleihen. Im wirklichen Leben waren Anzeigen gegen «Die Weltwoche» wenig erfolgreich. Verfahren wurden von der Staatsanwaltschaft eingestellt.

Aber nun hebt sich der rote Vorhang des Theaters, und es herrschen die Regeln der Bühne: «Die Weltwoche» steht nicht vor einem realen Gericht, sondern vor einem fiktiven.

Anklagepunkt 1: «Schreckung der Bevölkerung»

Ausgabe der «Weltwoche», aufgeschlagen ein Artikel von Roger Köppel über Minarette.
Legende: «Das Minarett ist das sichtbare Symbol der islamischen Landnahme», findet Roger Köppel. SRF

Das Schweizer Strafgesetzbuch sieht im Artikel 258 vor: «Wer die Bevölkerung durch Androhen oder Vorspiegeln einer Gefahr für Leib, Leben oder Eigentum in Schrecken versetzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.»

In der Vergangenheit wurden in mehreren Fällen auf der Grundlage dieses Artikels Urteile gesprochen. Es ging dabei beispielsweise um eine Drohung auf Facebook, die auf einen Amoklauf schliessen liess oder auch um einen Anruf bei einer Grosshandelskette, mit dem der Täter drohte, eine Bombe zünden zu wollen.

Im theatralen Verfahren gegen «Die Weltwoche» geht es mehr um Behauptungen und das Beschreiben mutmasslicher Gefahren. In der Ausgabe 47/2009 schreibt Weltwoche-Chefredaktor Roger Köppel über den Islam: «Niemand, der wirklich integrieren will, erlaubt Symbole, die für eine Kultur stehen, die mit der eigenen Kultur nicht vereinbar ist. Wer Minarette verbietet, fördert die Integration der Muslime.» Oder: «Wer den Islam ernst nimmt, sieht ihn als politreligiöse Eroberungsideologie, die ihre Standards überall dort durchsetzt, wo sie sich niederlässt. Das Minarett ist das sichtbare Symbol der islamischen Landnahme.»

Geben diese Textpassagen Köppels Meinung wieder oder beschreiben sie konkrete Bedrohungen? Ob damit der Tatbestand der Drohung mit einer Gefahr «für Leib und Leben» erfüllt ist, das Opfer der Bedrohung nach objektiven Gesichtspunkten in Angst und Schrecken versetzt wird und somit ein konkreter Nachteil droht, müssen die Geschworenen im Theater Neumarkt entscheiden.

Anklagepunkt 2: «Rassendiskriminierung»

Titelbild der «Weltwoche»: Ein Roma-Kind zielt mit einer Pistole auf den Betrachter.
Legende: Gratwanderung: Kriminalisiert das Bild die Volksgruppe der Romas oder klärt es über Bandenkriminalität auf? SRF

Durch Artikel 261 des Schweizerischen Strafgesetzbuchs wird bestraft « ... wer öffentlich gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion zu Hass oder Diskriminierung aufruft ... wer öffentlich durch Wort, Schrift, Bild, Gebärden, Tätlichkeiten oder in anderer Weise eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion in einer gegen die Menschenwürde verstossenden Weise herabsetzt oder diskriminiert ...»

Weiter soll laut Artikel 261 bestraft werden, wer andere aufgrund von Rasse, Ethnie oder Religion diskriminiert: Das schliesst auch Propaganda, Herabsetzung, Leugnung von Völkermord oder Verhinderung von allgemeinen Leistungen ein.

2012 reichten in Österreich, Deutschland und der Schweiz Einzelpersonen und Verbände Anzeigen gegen «Die Weltwoche» ein, weil sie gegen diesen Artikel 261 verstossen haben soll. Anlass war ein Titelbild, das ein Roma-Kind zeigt, wie es mit einer Pistole auf den Betrachter zielt. Das Bild sorgte für Furore, in verschiedenen sozialen Netzwerken formierten sich Protestgruppen, Blogs und Zeitungen bezogen Position gegen die Zeitschrift.

Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma warf der «Weltwoche» in ihrer Anzeige vor, das Bild «kriminalisiere in volksverhetzender Weise die Volksgruppe der Sinti und Roma», ausserdem würden «rassische Stereotypen im Stile der nationalsozialistischen Zuschreibungen gegenüber der Minderheit befördert», es würde der Eindruck von «abstammungsbedingter Kriminalität» erzeugt. Denn das Foto zeigt nachweislich ein spielendes Kind auf einer Mülldeponie im Kosovo und kein Mitglied einer kriminellen Bande.

Philip Gut, stellvertretender Chefredaktor der «Weltwoche», rechtfertigte das Bild mit seinem Symbolcharakter: «Das Cover-Bild symbolisiert präzis den Kern des Missstands, nämlich dass Roma-Banden bereits Kinder und Jugendliche zu kriminellen Zwecken missbrauchen».

Der Schweizer Presserat bezog in einer Stellungnahme eine klare Position: «Für den Presserat suggeriert das Bild in Kombination mit der Schlagzeile fälschlicherweise, der abgebildete Knabe sei Teil der Roma-Kriminalität.» Zudem trage die «Weltwoche» durch die pauschalisierende Schlagzeile «Die Roma kommen» in diskriminierender Weise dazu bei, Ängste zu schüren und stereotype Vorurteile gegenüber einer ethnischen Gruppe zu verstärken.

Die Zürcher Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren jedoch ein. «Zusammengefasst setzt er die Roma als Volk nicht hinunter», heisst es in der Begründung. «Weiter schreibt der Beschuldigte in seinem Bericht, die Kinder seien eher Opfer als Täter.» Somit war der Fall abgeschlossen.

Anklagepunkt 3: «Gefährdung der verfassungsmässigen Ordnung durch faktenwidrige Verunglimpfung der Justiz»

 Giebelansicht des Bundesgerichts in Lausanne.
Legende: Das Bundesgericht laut «Weltwoche» mehr Handlanger Brüssels als dem Schweizer Volk dienlich. Keystone

Das Schweizerische Strafgesetzbuch sieht vor, dass der Tatbestand der Gefährdung der verfassungsmässigen Ordnung im Folgenden erfüllt ist: «Wer eine Handlung vornimmt, die darauf gerichtet ist, die verfassungsmässige Ordnung der Eidgenossenschaft oder der Kantone rechtswidrig zu stören oder zu ändern, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.»

In der Regel bezieht sich der Artikel auf Aktionen gegen die Verfassung, auf grobe Verstösse gegen die verfassungsmässige Ordnung, beispielsweise: Planung einer Revolution oder Anlegen von Waffenlagern und nicht auf journalistische Äusserungen.

Das wurde der «Weltwoche» noch nie konkret vorgeworfen. Bezieht sich die im Theater eingeklagte «Gefährdung der verfassungsmässigen Ordnung» somit auf die wiederholten Vorwürfe gegen das Bundesgericht in Lausanne? Und damit um die Verunglimpfung der Justiz? «Die Weltwoche» titelte in Ausgabe 23/2007 «Lausanner Ajatollahs?» oder in Ausgabe 44/2012 «Lausanne trickst Bern aus» und klagt damit die Entscheidungsfindung des Bundesgerichts an. Man kann gespannt sein, was im Prozess kommt…

Das Urteil ist nebensächlich

Bis in der Schweiz die erwähnten Artikel zur Anwendung kommen, müssen Presse- und Meinungsfreiheit enorm strapaziert werden, oder im Umkehrschluss: Presse- und Meinungsfreiheit sind ein hohes Gut und schützen die Presse vor Klagen.

Milo Rau geht es auch gar nicht darum, ob die Anklagen gegen die Weltwoche vor einem richtigen Gericht eine Chance hätten. Ihm geht es um die Diskussion: «Das Zentrale ist, dass man die Akteure im Verlauf von drei Tagen alle auf der Bühne hat, dass sie befragt werden, dass es ein grosses öffentliches Hearing gibt. Und was nachher das Urteil ist, schuldig oder unschuldig, ist vermutlich irrelevant. Der Weg ist das Ziel».

Der Prozess ist eine Inszenierung, und die Urteilenden sind Geschworene in einem Theaterstück. Sie können eine eigene Auffassung ihrer Rolle entwickeln, ihre eigene Meinung bilden, die zu einer anderen Form der Urteilsbildung führt. Ob sich die Geschworenen vom Schweizerischen Strafgesetzbuch leiten lassen oder eher von ihrer persönlichen Auffassung, bleibt offen.

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