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«Nichts geschenkt» – Premierenkritik
Aus Kultur-Aktualität vom 07.09.2021. Bild: Joel Schweizer
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Geschichte der Gleichstellung Bühne frei für die Vorreiterinnen der Frauenbewegung

Der Weg zum Schweizer Frauenstimmrecht war lang und beschwerlich. «Nichts geschenkt» zeigt ihn im Schnelldurchlauf. Ein starkes Stück.

Es gibt sie, die Sternstunden im Theater. Wo der richtige Stoff zur richtigen Zeit mit den richtigen Absichten auf die Bühne kommt. «Nichts geschenkt» ist mehr als ein geglückter Theaterabend. Kein Wunder erhebt sich das Publikum nach zweieinhalb Stunden begeistert.

Die Sache mit der Melone

Die Geschichte der Frauenrechte wird von vorne erzählt, angefangen im antiken Griechenland. Stellvertretend für den mythischen Kugelmenschen kommt auf der Bühne eine Wassermelone zum Einsatz, die dramatisch halbiert wird. 

Und wer putzt die ganze Sauerei auf? Diese Frage führt bei den acht Spielerinnen und Spielern zu einem Faktencheck in Sachen Gleichstellung. Vier Frauen und vier Männer präsentieren einen historischen Parcours und werfen dabei Schlaglichter auf zehn Vorreiterinnen im Kampf um die Frauenrechte.

50 Jahre Frauenstimmrecht – Das Stück zum Jubiläum

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Eine ganze Reihe von Aktivistinnen begann schon früh, sich vehement für die Anliegen und Rechte der Frauen einzusetzen. Diesen Pionierinnen setzt das Theater Biel Solothurn mit «Nichts geschenkt - Eine kurze Geschichte der Frauenbewegung» ein lebendiges Denkmal.

Das Stück der Autorin Mirjam Neidhart ist in Biel und Solothurn zu sehen, geht aber auch auf eine kleine Schweizer Tournee. Hier finden sich sämtliche Spieldaten.

Ab nach Frankreich

Von Griechenland geht’s nach Paris. Während im Jahr 1788 der König in Versailles fette Bankette feiert, hungert das Volk. Zehntausende Frauen gehen auf die Strasse und fordern Brot, Arbeit und Rechte.

Eine von ihnen ist die Aktivistin Olympe de Gouges, die als eine der Begründerinnen des modernen Feminismus gilt. Die Analphabetin diktierte ihre Pamphlete und bezahlte ihre radikalen Forderungen mit dem Leben.

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Olympe de Gouges: Freiheit, Gleichheit, Schwesterlichkeit
aus Kontext vom 09.12.2018. Bild: Imago / Leemage
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Vom Schafott geht's in den Salon von Madame de Staël. Mit geschliffenem Mundwerk erklärt die Pariser Intellektuelle, weshalb sich Liebe und Besitz nicht vertragen. Und dass eine Frau mit der Heirat nichts anderes als den Besitzer wechselt. In der Schweiz standen verheiratete Frauen bis 1988 unter der Vormundschaft ihrer Gatten.

Eine alte Dame an der Seite einer Frau aus Pappe auf einer Bühne.
Legende: «Nichts geschenkt» erinnert an die vergessenen Vorreiterinnen in Sachen Frauenrechte. Rechts im Bild: Schauspielerin Barbara Grimm. Joel Schweizer

Vergessene Pionierinnen

«Nichts geschenkt» ist eine überraschend unterhaltsame Zusammenfassung dessen, was Frauen in den letzten drei Jahrhunderten für ihre Rechte geleistet haben.

Bei aller Heiterkeit bleibt einem das Lachen doch immer wieder im Hals stecken. Denn diese mutigen Frauen sind wegen ihres Engagements gedemütigt, ausgestossen, für verrückt erklärt oder weggesperrt worden.

Etwa Emily Kempin-Spyri, die als erste Frau Europas an der Universität Zürich promovierte. Sie hatte in New York eine Rechtsschule für Frauen gegründet. In der Schweiz hinderte man sie daran, als Anwältin zu arbeiten. 1901 starb sie mittelos und vergessen in einer psychiatrischen Klinik in Basel.

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Wer war Emily Kempin-Spyri?
aus Tageschronik vom 18.03.2019. Bild: Wikimedia
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Da sind aber auch Pionierinnen wiederzuentdecken, wie Helene von Mülinen. 1896 organisierte sie den ersten Kongress für Fraueninteressen in Genf und ebnete so den Weg für den Dachverband alliance F, der bis heute existiert. Bis an ihr Lebensende setzte sie sich für Chancengleichheit ein.

Drei Männer auf einer Politbühne.
Legende: Männer unter sich: Die Stimmrechtsdebatte von 1945, nachgespielt auf der Theaterbühne. Joel Schweizer

Aufklärung ohne Zeigefinger

Autorin Mirjam Neidhart legt mit «Nichts geschenkt» ein dokumentarisches Theaterstück vor, das auf Originaldokumenten und gründlicher Recherche beruht. Regisseurin Katharina Rupp bringt diesen mit einem hochmotivierten Ensemble auf die Bühne und behält stets die Balance zwischen Ernsthaftigkeit und Humor. Nie wirkt der Abend belehrend, sondern aufklärerisch im besten Sinn.

Das Herzstück des Stücks bildet die Stimmrechtsdebatte von 1945. Wortwörtlich nach Protokoll wird sie nachgespielt, wobei dem Publikum die Rolle der politischen Parteien zukommt. Das Publikum wird zum Nationalratssaal – und der Saal tobt.

So verschmelzen in diesem sehenswerten Meisterinnenwerk Kunst und Politik auf geniale Weise. Auch wenn die Frauen vieles erreicht haben, bleibt am Schluss der Eindruck: Das Theater der Gleichstellung ist noch lange nicht vorüber.

SRF 2 Kultur, Kultur Aktualität, 7.9.2021, 17:10 Uhr

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