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Westschweizer Tanzszene: Anlaufstelle aufgebaut
Aus Kultur-Aktualität vom 03.02.2022. Bild: Getty Images / oleg66
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Sexuelle Übergriffe #MeToo im Tanz: Wo Missbrauchsopfer ihr Schweigen brechen

Die Westschweizer Tanzszene reagierte mit einer Anlaufstelle auf die Skandale aus dem letzten Jahr. Sie wird rege gebraucht – und könnte bald auch in der Deutschschweiz zum Thema werden.

Zuerst zu den Fällen: Bei der Compagnie Interface in Sitten und der Genfer Tanztruppe Alias stehen die Choreografen in der Kritik. Ihnen wird sexuelle Belästigung vorgeworfen. Bei Interface ist die Strafuntersuchung noch in Gange. Der Choreograf von Alias wurde bereits erstinstanzlich verurteilt. Weil er das Urteil weiterzog, ist es noch nicht rechtskräftig.

Auch im Umkreis des weltberühmten Béjart-Balletts in Lausanne kam ein inakzeptables Arbeitsklima ans Tageslicht und die Schule Rudra Béjart wurde geschlossen. Eine Untersuchung attestierte dem Béjart-Ballett ein impulsives, jähzornigen und beleidigendes Auftreten der Leitung gegenüber den Tänzerinnen und Tänzern.

«Es kam alles an die Oberfläche»

2021 war für Anne Papilloud Generalsekretärin der Westschweizer Gewerkschaft der Bühnenschaffenden ein besonderes: «In der Westschweizer Tanzszene war das vergangene Jahr ein Erdbeben.» In vielen Fällen seien die Probleme schon bekannt gewesen. «Bei Béjart gab es 2008 die ersten Schwierigkeiten. Aber letztes Jahr kam alles an die Oberfläche.»

Die Missstände blieben so lange unter der Oberfläche, weil es die wenigsten Tänzerinnen und Tänzer wagten, sich zu wehren. Auch weil sie finanziell in prekären Verhältnissen leben und auf Gedeih und Verderb den Leitern ausgeliefert sind. Im Falle von Alias etwa war die Tanztruppe nach den Vorwürfen buchstäblich verschwunden.

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Mauer des Schweigens

Nun aber brach die Mauer des Schweigens. Deshalb sei eine Anlaufstelle eingerichtet worden, damit sich Künstlerinnen und Künstler an jemanden wenden könnten, sagt Gewerkschafterin Anne Papilloud.

Man habe die Anlaufstelle ins Leben gerufen, weil viele Kulturschaffende keine Personaldienste zur Verfügung haben und auch keine Vertrauensperson im Unternehmen, wie es vorgeschrieben wäre. «Sie können sich an niemanden wenden.»

Die Anlaufstelle namens Safe Spaces Culture wird nicht von der Bühnengewerkschaft betrieben, sondern von der Clinique du Travail, einem auf Arbeitsrecht und die psychologische Betreuung spezialisierten Büro in Morges.

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aus Kontext vom 29.10.2019. Bild: Getty Images / Liv Oeian / EyeEm
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Fünf Fälle in drei Monaten

Die Opfer werden anonym empfangen. Auch die Bühnengewerkschaft hat keine Einsicht in die Dossiers. Die Personen werden umfassend beraten. «Ganz im Gegensatz zu den Anfängen der #MeToo-Bewegung, als den Opfern fast nur der Gang an die Öffentlichkeit blieb», sagt Julie Zumbühl von der Clinique du Travail.

In den Medien Anklage zu erheben, löse die Probleme nicht, sagt Zumbühl. Man kläre die Gesundheit der Personen ab und berate sie über mögliche Massnahmen. «Das kann so weit gehen, dass bei der Polizei Anzeige eingereicht wird. Die Betroffenen entscheiden aber selbst, ob sie das wollen. »

Die Anlaufstelle wird gebraucht: Erst vor drei Monaten nahm sie den Betrieb auf. Inzwischen sind schon fünf Dossiers eröffnet worden.

Und was geht in der Deutschschweiz?

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Braucht es eine solche Anlaufstelle nach Vorbild Safe Space Culture auch in der Deutschschweiz? Jonathan Niedrig, Geschäftsführer beim Verband Schweizer Musikclubs und Festivals PETZI, kann sich das vorstellen.

Er sei allerdings erst seit einer guten Woche über die Vorkommnisse in der Romandie informiert. Die Frage sei aber beim Verband bereits ein Thema und grundsätzlich «wohlwollend aufgenommen worden».

Es sei auch denkbar, dass man in der Deutschschweiz an die Romandie andocken werde und mit der Westschweizer Clinique du Travail zusammenarbeite. «Man muss das nicht zwingend kopieren», sagt Niedrig auf Anfrage. Allenfalls stelle sich die Frage nach der Sprachkompetenz und den Kapazitäten.

Wann eine Anlaufstelle für Missbrauchsopfer im Kulturbereich in der Deutschschweiz frühestens ihren Betrieb aufnehmen könnte, sei zum jetzigen Zeitpunkt noch völlig offen.

SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 3.2.2022, 8:06 Uhr;

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