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Bühne Shakespeare, wie er uns gefällt

Trotz seiner mehr als 450 Jahre wirkt der grosse Dramatiker nie veraltet. Shakespeares Werke werden immer noch neu übersetzt, Hamlet lässt sich mühelos als Hipster spielen, König Lear als Frau und Romeo als jugendlicher E-Gitarrenheld. Woran liegt das?

Er gehört nach wie vor zu den meistgespielten Dramatikern der Welt. Shakespeares Tragödien, Historienspiele und Komödien werden immer noch übersetzt, jede Generation will sich auf seine Worte ihren eigenen Vers machen. Bedarf es denn noch eines Beweises, dass Shakespeare «unser Zeitgenosse» ist, wie es der polnische Theatertheoretiker Jan Kott 1965 formulierte?

Man muss Shakespeare allerdings übersetzen. Sein Englisch verstehen wir heute nicht mehr. Geschweige denn die Bedeutung eines Symbols, etwa des banalen Gewürzes Rosmarin bei «Romeo und Julia». Zu Shakespeares Zeit war jedem Theaterbesucher klar: Wo das Kraut auftaucht, wird in den nächsten Szenen der Tod wüten.

Würde Shakespeare heute den «Tatort» schreiben?

Sein oder nicht sein?

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Shakespeares Zeichen und seine Welt sind uns fremd; dennoch gehen uns seine Bühnentexte und Gedichte auch heute ganz direkt an. Wenn wie in Jette Steckels Hamburger Inszenierung von «Romeo und Julia» 20 jugendliche Romeos mit E-Gitarren an der Rampe ihren Herzschmerz in die Welt schrammen, ist es offensichtlich: Shakespeare wird immer unser Zeitgenosse bleiben.

Sei es, dass eine Frau Hamlet – oder Macbeth oder König Lear – spielt und damit die Genderrolle betont, sei es, dass Romeo und Julia sich im australischen Ghetto verlieben: Gewiss ist, dass Shakespeare uns über die Zeiten hinweg viel sagen kann, mehr als seine Zeitgenossen, und dass eine bleibende Faszination ausgeht von diesem Verfasser von Gebrauchsstücken für derbe Bühnen in Londons Rotlichtviertel. Heute würde Shakespeare vielleicht «Tatort»-Folgen schreiben.

Jacques, der spleenige Spötter

Mein persönlicher Favorit in seinem Rollenuniversum ist und bleibt Jacques: der junge Lord in «Wie es euch gefällt», der sich mit dem alten Herzog im Ardenner Wald aufhält. Das Stück gehört zu Shakespeares «romantischen Komödien». Sie sind «romantisch», weil sie auf Romanstoffen beruhen, aber eben auch eine besonders zauberische Atmosphäre heraufbeschwören.

Jacques ist eine Figur mit spleenigem Charme: ein zynischer Spötter, von Natur aus melancholisch. Der Herzog im Ardenner Wald sagt über ihn, wenn er mürrisch sei, habe er besonders viele Ideen. Er selber sagt von sich, er möchte gern ein Narr sein: «O wär ich doch ein Narr, mein Ehrgeiz geht auf ein bunte Jacke.»

«Joy of grief», der lustvolle Weltschmerz

Jacques trifft nun also im Ardenner Wald ein Mädchen, Rosalinde, die sich als junger Mann verkleidet hat und sich Ganymed nennt. In diesen Ganymed könnte Jacques sich verlieben; mit ihm redet er und erklärt seine Melancholie: Es sei eine Melancholie ganz nach seiner eigenen Art, sie liesse ihn gleichzeitig träumen und weinen – also ganz das, was man später als «Joy of grief» bezeichnet hat, den lustvollen Weltschmerz. Jacques ist der Welt auf die liebenswerteste Weise abhandengekommen – er ist sozusagen die Marthaler-Figur unter Shakespeares Gestalten.

Musik, Therapie und Gift zugleich

Wer den modernen Menschen als den zerrissenen, zweifelnden, skeptischen sieht, muss in Figuren wie Jacques oder Hamlet seine Prototypen erkennen. Und schon damals gehörte zur Melancholie auch die Musik: als Mittel gegen die Schwermut – nur ist sie gleichzeitig Therapie und Gift.

Musik lindert die ambivalent bitter-süsse Stimmung nicht nur, sie nährt sie zugleich. Das weiss eben Jacques, wenn er sagt «More, I prithee, more! I can suck melancholy out of a song as a weasel sucks eggs». Was für eine Metapher! Wie das Wiesel ein rohes Ei schlürft Jacques gierig und verstohlen seine Ration Melancholie aus der Musik. Man kann sich ihn ohne Weiteres mit Hipster-Bart und Wollmütze in einer unserer Städte vorstellen, die überdimensionierten Kopfhörer schützend über den Ohren.

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