Zum Inhalt springen

Header

Inhalt

Bühne Wodka und Wollstoffe: Ein Besuch beim Ballett Zürich

Plié, Pirouette, Pas de deux. Aber auch Schweiss und Tränen. Was auf der Bühne federleicht wirkt, wird hinter den Kulissen beinhart geübt. Einblicke ins Innerste einer klassischen Ballettkompanie, die sich von Hip-Hop-Elementen inspirieren lässt und Spitzenschuhe auch mal gegen Militärboots tauscht.

Schon von weitem sind die Klavierklänge aus dem Ballettsaal zu hören. Die Stimmung ist hochkonzentriert. An jeder einzelnen Bewegung feilt das Corps de Ballett bis zur Perfektion. Doch ist es nicht die perfekte Form, die Ballettdirektor Christian Spuck inspiriert. Seine Choreografien erzählen Geschichten – solche mit Konfliktpotenzial: «Wenn etwas nur schön ist, wird es ganz schnell langweilig. Wir wollen Konflikte auf der Bühne sehen.»

Eine solche Geschichte ist Woyzeck: Zum Schluss fühlt das Publikum mit dem Mörder Woyzeck und empfindet Mitleid mit ihm, statt mit seinem Opfer. «Konflikte können ohne Worte durchaus poetisch oder romantisch dargestellt werden», schildert es Spuck.

Klassik mit Hip-Hop-Elementen

Christian Spuck

Box aufklappen Box zuklappen
Legende: keystone

Geboren 1969 in Marburg, Deutschland. Startete verhältnismässig spät, im Alter von 21 Jahren, seine Tanzausbildung. Als Quereinsteiger machte er sich schnell einen Namen in der Tanzszene. 2012 wurde er Direktor des Zürcher Balletts am Opernhaus in Zürich.

Keine Ballettkompanie in der Schweiz tanzt ein grösseres Repertoire als das Ballett Zürich: Von Schwanensee, Leonce und Lena bis Woyzeck.

Gar von der Hip Hop Szene lässt sich der Ballettdirektor inspirieren: «Ich muss gestehen, dass ich immer beeindruckt bin, wenn ich Hip-Hop-Gruppen sehe, die sich durch unglaubliche Musikalität und Präzision auszeichnen. Natürlich fliesst das auch in die choreografische Arbeit mit ein.» Wenn auch im Ballettsaal das klassische Training im Mittelpunkt steht. «Ich würde nicht sagen, das klassische Training findet nicht statt und alle müssen Hip-Hop trainieren. Doch gibt es Einflüsse, die mit dem Ballett konform gehen. Das Ballett ist keine angestaubte Kunstform, sondern hochaktuell.»

Als Quereinsteiger hat Spuck die Tanzwelt erobert: Im für eine Tanzkarriere späten Alter von 21 Jahren hatte er an der angesehenen John-Cranko-Schule seine Ballettausbildung begonnen. Heute gilt er als einer der begabtesten Choreografen seiner Generation.

Wodka im Kostümfundus

Für die aktuelle Produktion, Woyzeck, trägt das Ensemble keine Kostüme aus Chiffon, keine Tütüs oder Spitzenschuhe. Es trägt schwere Wollstoffe und Militärschuhe. «Ungewöhnlich warme Stoffe fürs Ballett», betont Kostümdirektorin Verena Giesbert, «die Tänzerinnen tragen Untermieder aus Wollstoff und ein Jäckchen. Die Kostüme sollen zeigen, dass die Dorfgemeinschaft sehr schwerfällig ist.»

Nach der Vorstellung sind die Kostüme durchgeschwitzt. Zu einem ungewöhnlichen Trick greifen deshalb die Mitarbeiterinnen des Kostümfundus: «Wir reinigen die durchgeschwitzten Stoffe mit einem feinen Wodka-Sprühnebel. Der Alkohol desinfiziert und erfrischt sie», verrät die Kostümdirektorin. 40 Prozent Alkoholgehalt macht Wodka zu einem effektiven Bakterienvernichter. Giesbert: «Man muss schon ordentlich Wodka sprühen, aber es funktioniert.»

Am Zapfhahn des Adrenalins

Zwei Stunden vor der Vorstellung treffen wir die Primaballerina Katja Wünsche in der Maske. Sie verwandelt sich hier in Marie, ein einfaches Mädchen, das von Woyzeck ermordet wird. «Die Maske ist ein Schritt von mehreren, die mir helfen, mich besser in meine Rolle hinein zu fühlen», sagt Wünsche, «ich denke, dass sie für das Publikum noch wichtiger ist, weil sie die Illusion auf der Bühne noch verstärkt.» Die Konzentration hinter der Bühne steigt von Minute zu Minute.

Auch bei Felix Bierich am Inspizientenpult mit den zahlreichen farbigen Knöpfen. «Ladies and Gentlemen, noch 20 Minuten bis zur Vorstellung», gibt der Inspizient über sein Mikrofon durch. «Ich bin sozusagen am Adrenalinhahn», so Bierich. So viel sei verraten: Auch beim ihm steigt kurz vor der Vorstellung das Lampenfieber. «Es ist die Essenz für eine erfolgreiche Vorstellung.»

Meistgelesene Artikel