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Bühne Zu gewagt? Jelinek-Stück sorgt in Polen für einen Politskandal

Live-Sex und tschechische Pornodarsteller – das sollte bei einem Jelinekstück in Breslau auf die Bühne kommen. Ohne sich genauer zu informieren, will der Kulturminister die Vorstellung verbieten – und kündigt fast nebenbei grosse inhaltliche Änderungen beim staatlichen Radio und Fernsehen an.

Auf dem Spielplan stand «Der Tod und das Mädchen». Ein Stück mit Texten von Elfriede Jelinek. Die Österreicherin war schon öfter gut für einen Skandal. Doch die Verantwortlichen des staatlichen Theaters in Breslau wollten auf Nummer sicher gehen. Schon vor der Premiere versprachen sie Live-Sex auf der Bühne. Auch wurde bekannt, dass tschechische Pornodarsteller für die Produktion engagiert wurden.

Frau mit Hand in der Unterhose, darauf polnischer Text.
Legende: Freizügigkeit ist Programm: Mit diesem Poster wurde die Vorstellung in Breslau angekündigt. Teatr Polski

Handgemenge und Verhaftungen

Das war zuviel für einige Mitglieder einer Gruppierung, die sich Rosenkranz-Kreuzzug nennt. Zumal die Premiere ausgerechnet auf einen Feiertag für die heilige Jungfrau Maria fiel. Die katholischen Eiferer riefen alle Gottesgläubigen auf zum Protest gegen «pornografische Aussschweifung und sadomasochistischen Dreck».

Und so flogen Eier und Tomaten gegen das Haus der Mutter des Theaterdirektors, und etwa 100 Leute stellten sich dem Premierenpublikum vor dem Theater in den Weg. Es kam zu einem Handgemenge und einigen Verhaftungen. Doch die Premiere fand statt, die lustlose Kopulationsszene soll nur in Schattenumrissen auf einem Paravent zu erkennen gewesen sein.

Minister auf Kulturkrieg eingestellt

Eine Lokalposse, wenn sich nicht auch Piotr Glinski eingeschaltet hätte. Glinski war Professor für Soziologie an der Uni Byalistok. Doch diesen Monat hat ihn die polnische Wahlsiegerin, die katholisch-konservative Partei Recht und Gerechtigkeit zum neuen Kulturminister und Vizepremier des Landes gemacht.

Glinski war offenbar darauf aufmerksam gemacht worden, dass am staatlich subventionierten Theater in Breslau Pornografie geboten werden soll. Also griff er zum Telefon und forderte den Chef der Region um Breslau an, die Premiere abzusagen. Doch dieser, der politischen Konkurrenz zugehörig, weigerte sich.

Ultrakatholische und nationalkonservative Kreise in Polen protestieren immer mal wieder, wenn ein Museum oder ein Theater ihres Erachtens Gott oder das Vaterland beleidigt. Neu ist, dass auch der höchste Kulturverantwortliche des Landes sich auf diesen Kulturkrieg einlässt – und ein Stück absetzen möchte, das er nicht gesehen und über das er sich bei den Verantwortlichen nicht informiert hat.

Bauernopfer auch bei Journalisten

Von Elfriede Jelinek hätte auch der Dialog sein können, den sich der Kulturminister und eine Interviewerin des polnischen Staatsfernsehens geliefert hatten:

Sie fand, er weiche ihren Fragen aus. Er fand, er komme nicht zu Wort. Sie warf ihm vor, er verwechsle ein journalistisches Interview mit einer Medienkonferenz. Er warf ihr vor, das polnische Fernsehen mache seit Jahren keinen Journalismus, sondern Propaganda, doch das werde sich bald ändern.

Dreissig Minuten nach diesem Gespräch erfuhr die Journalistin, dass dies ihr letztes solches Interview gewesen sei. Sie wurde einer anderen Redaktion zugeteilt.

Porträt Elfriede Jelinek
Legende: Ein Stück mit Texten von Elfriede Jelinek sollte in Polen freizügig inszeniert werden. Am Ende waren es Schattenspiele. Keystone

Regierungskritische Journalisten werden vorsichtig

Die Partei Recht und Gerechtigkeit erhebt schon lange den Vorwurf, dass die staatlichen Medien und insbesondere das Fernsehen der Partei Bürgerplattform nahe stünden, die bis zu den Wahlen im Oktober an der Macht war. Das soll sich nun ändern. Manche Direktoren haben von sich aus gekündigt, die andern sollen Briefe erhalten haben mit der Aufforderung, einen Termin mit der Personalabteilung zu vereinbaren. Regierungskritische Journalisten werden vorsichtig.

Heute hat Glinski überdies erste Umrisse einer geplanten Medienreform bekannt geworden. Die derzeitigen Vorstände der öffentlich rechtlichen Medien werden ausgetauscht, bei den Neubesetzungen soll die Regierung stärker mitreden. Die Direktoren von Fernsehen und Radio können in Zukunft jederzeit abberufen werden.

Propaganda mit grossem Budget

Dass die neue Regierung die Kontrolle über die öffentlich-rechtlichen Medien nutzt, um deren Unabhängigkeit zu stärken, ist unwahrscheinlich. Die von Glinski angekündigte Änderung dürfte kleiner ausfallen: Wenn das polnische Radio und Fernsehen bis jetzt Propaganda gemacht haben für die bisherige Regierung, dann müssen sie es neu für die neue tun. Und, auch das hat Glinski angekündigt, mit neu einem fast doppelt so grossen Budget.

Sendung: SRF 2 Kultur, Kultur Aktuell, 24.11.2015, 17.15 Uhr.

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