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80. Geburtstag Markus Imhoof Der anerkannteste Nestbeschmutzer des Schweizer Kinos

Mit seinem Spielfilm «Das Boot ist voll» prangerte Markus Imhoof 1981 die Schweizer Mitschuld gegenüber den abgewiesenen Nazi-Opfern an. Mit 70 drehte er seinen Bienenfilm «More Than Honey», vor drei Jahren den Migrations-Dokumentarfilm «Eldorado». Nun wird der Filmregisseur 80 Jahre alt.

Lockerlassen gilt nicht. Markus Imhoof ist, bei aller Verschmitztheit, die er an den Tag legen kann, ein strenger Mensch. Vor allem mit sich selbst.

Sein Sinn für Gerechtigkeit und sein unbedingter Wille, seine Filmprojekte so durchzuziehen, wie er es für richtig hielt, liessen ihn schon mit seinen ersten Gehversuchen anecken.

Ein verbotener Film

Seine ersten Dokumentarfilme setzten sich mit Autorität auseinander: Der leidenschaftliche Reiter warf einen genauen Blick auf die Kavallerie, bei der er selbst seinen Militärdienst geleistet hat.

Mit seinem Kurzdokumentarfilm «Rondo» (1968) hinterfragte er den Sinn des Wegsperrens von Straftätern – der Film wurde prompt von der Zürcher Justizdirektion verboten.

Schwarzweiss-Foto zwei junge Männer sitzen, einer lehnt stehend am Geländer. Im Hintergrund gitterartiges Treppenhaus.
Legende: Markus Imhoof nannte seinen Film «Rondo» (1968) eine «Collage über ein Zuchthaus». Der Kurzfilm wurde in der Strafanstalt Regensdorf gedreht – und nach Einspruch des dortigen Direktors nicht öffentlich gezeigt. © Markus Imhoof, «Rondo»

Seinem Vater, einem Professor für Deutsch und Geschichte in Winterthur, machten die künstlerischen Ambitionen des Sohnes Sorgen. Die Mutter, eine Englischlehrerin, die ihrerseits in einer Missionsstation in Indien zur Welt gekommen war, zeigte sich offener für die brotlosen Pläne des angehenden Filmemachers.

«Wichtig ist, dass man der Hauptdarsteller seines Lebens ist»

Der junge Imhoof war von Anfang an wild entschlossen und unter Erfolgsdruck. Bei einer Begegnung in seiner Wohnung in Berlin erklärte er vor zehn Jahren: «Wichtig ist, dass man der Hauptdarsteller seines eigenen Lebens ist. Es heisst ja: ein Leben führen. Also, wer führt das?»

Für Imhoof war und ist klar, wer die Führung hat bei seinen Projekten und damit auch die Verantwortung. Rückblickend sieht er in seiner Entschlossenheit aber auch eine gewisse Besessenheit.

Im sehr schönen aktuellen SRF-Sternstunden Dokumentarfilm von Stefan Jäger stellt Imhoof bedauernd fest, dass seine Studenten-Ehe deswegen in die Brüche ging und er und seine Familie darunter gelitten haben.

älterer Mann, schlank mit Brille sitzt auf goldenem Kinosessel.
Legende: Markus Imhoof: «Die Happy-Studenten-Ehezeit war auch eine Belastung. Man musste drei Leute ernähren. Ich habe studiert, an einem Theaterstück geschrieben – das war alles etwas too much.» Keystone / Christian Beutler

«Das Boot ist voll» – die unrühmliche Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg

Aber beim Filmemachen, zumal in der Schweiz, braucht es Besessenheit und die Fähigkeit, Rückschläge wegzustecken.

Erst «Das Boot ist voll», der Spielfilm nach dem gleichnamigen Buch von Alfred A. Häsler, brachte Markus Imhoof die erste grosse Anerkennung – neben den konservativen Vorwürfen der «Nestbeschmutzung».

Er hatte sich aus Wut und persönlicher Betroffenheit mit der unrühmlichen Rolle der Schweiz gegenüber den Flüchtlingen aus Nazi-Deutschland auseinandergesetzt, und das so kühl und realistisch wie möglich. Nicht einmal Musik duldete er in diesem Spielfilm: «Weil ich das mit meinen Mitteln lösen wollte.»

Was nicht heisst, dass Imhoof in seiner Strenge nicht zu wachsen wusste.

Von der Oper zu den Bienen

Veränderung wurde zu einer Konstante im Leben des Filmemachers. Er lebte in Berlin, in Italien, wieder in der Schweiz und dann wieder in Berlin – bis heute.

Auch Musik hat er schliesslich zugelassen. Er inszenierte Opern und mit «Flammen im Paradies» 1997 einen opulenten, fast überschwänglichen Spielfilm über die Missions-Ehe seiner Grossmutter in Indien, mit Musik von Bruno Coulais.

Mit seinem Bienendokumentarfilm «More Than Honey» gelang ihm, gut 70-jährig, vor 10 Jahren ein eigentlicher Welterfolg. Dem liess er 2018 den ausgesprochen persönlich gefärbten «Eldorado» folgen, in dem er seine Kindheitserinnerungen an ein Flüchtlingsmädchen aus Italien mit dem Schicksal der in Europa unwillkommenen Mittelmeer-Migranten verknüpfte.

Audio
Besessen, streng und oft angeeckt: Markus Imhoof wird 80
aus Filmpodcast: Kino im Kopf vom 17.09.2021. Bild: KEYSTONE / SASCHA STEINBACH
abspielen. Laufzeit 3 Minuten 55 Sekunden.

«Gewisse Dinge kann man nicht nochmal nachdrehen»

Markus Imhoof hat sich als Filmemacher mit menschlicher Schuld und Unzulänglichkeiten auseinandergesetzt und sich dabei immer mitgemeint. Kompromisse machte er dabei so wenig wie möglich. Mit denen, die er machen musste, hat er zu leben gelernt: «Das ist wie im Leben auch: Gewisse Dinge kann man dann nicht noch mal nachdrehen…»

Nein, Nachdrehen geht nicht. Aber weiterdrehen, das geht. Auch mit 80. Markus Imhoof arbeitet an seinem nächsten Film, über die frühe Globalisierung seiner Vorfahren.

SRF 1, Sternstunde Kunst, 12.9. 2021, 12:45 Uhr;

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