Es kommt selten genug vor, dass ein Film mit einer völlig neuen originellen Prämisse aufwartet. «Borgman» bereichert die Welt des phantastischen Films um eine neue Spezies. Am Anfang sind es drei Exemplare, am Ende etliche mehr. Und es steht zu befürchten, dass sie irgendwann Legion sein werden.
Wenn der Borgman zweimal klingelt
Was der Holländer Alex van Warmerdam mit Borgman hier in Cannes auftischt, ist frischer und böser als alles andere, was bisher im Wettbewerb lief. Der titelgebende Herr Borgman kommt aus dem Wald und arbeitet sich ins Zentrum einer reichen Familie mit drei Kindern und Au Pair-Mädchen vor, indem er zuerst einmal einfach klingelt und in seiner ganzen Verdrecktheit darum bittet, ein Bad nehmen zu dürfen. Vom Herrn des Hauses wird er daraufhin fürchterlich verprügelt, was ihm den Weg ins Gewissen (und schliesslich mehr) der Frau öffnet.
Der personifizierte Alptraum
Damit sind die Voraussetzungen geschaffen für die Infiltration und schliessliche Übernahme der privilegierten Familie. Borgman hat offensichtlich viele Gestalten. Er ist Nachtmahr und Drifter, er kommt wieder als Gärtner, und er organisiert weitere seiner Getreuen, die ebenfalls ihren Einfluss geltend machen und ihre Skrupellosigkeit unter Beweis stellen.
Wer in dieser Übernahme der privilegierten Villa durch entschlossene Unterprivilegierte aktuelle europäische Ängste bedient sieht, liegt keineswegs falsch. So ebnet sich Borgman den Weg zum Gärtnerjob, indem er erst den Originalgärtner umbringt, dann auf die Stellenausschreibung hin Ausländer, Schwarze und Ungelernte zum Vorsprechen beim Hausherrn schickt, bis dieser so entnervt ist, dass er den ersten holländisch sprechenden und wirkenden Mann anstellt. Und das ist natürlich Borgman, mittlerweile rasiert und mit geschnittenen Haaren.
Der Film ist nicht düster - das wäre schamlos untertrieben
So simpel, wie das in der Nacherzählung klingt, ist das allerdings nicht inszeniert. Borgman und seine Getreuen gehen abwechselnd subtil, grotesk und dann wieder übersinnlich vor. Und ihr Einfallstor sind Frauen und Kinder. Männer (und nicht nur Männer) müssen weg, wobei die Entsorgungsmethode wiederum für ein paar der schönsten und zugleich unheimlichsten Einstellungen des Films sorgt.
Er habe einen Film machen wollen, der dunkler sei als seine bisherigen sieben, sagt Alex van Warmerdam. Und zugleich einen, der mehr Fragen aufwerfe als er Antworten gebe. Das ist ihm auf jeden Fall gelungen, auch wenn die wohl naheliegendste Interpretation der Vorgänge jene ist, die Europa am meisten beschäftigt: Wie können wir unseren Wohlstand erhalten, wenn andere auch daran teilhaben wollen? Und wo stehen wir moralisch, wenn wir uns diese Frage schon stellen?
Der Film hat einen Preis verdient - mindestens
Für seinen überaus originellen Ansatz allein gebührt diesem Film mehr als ein Preis. Dass die Ausführung auch noch höchst elegant zwischen allen Genregrenzen hindurch führt, und die Schauspieler mit ihrer Zurückhaltung ungemein effizient sind, eröffnet auch noch weitere Möglichkeiten.
Und wenn hier in Cannes kein Preis abfallen sollte, dann ist Borgman noch immer ein heisser Kandidat für den «Méliès d’Or». Und damit sei meiner Hoffnung Ausdruck verliehen, dass Borgman im Juli auch im Rahmen des «NIFFF» in der Schweiz zu sehen sein wird.