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Film & Serien Frisur oder Philosophie – das ist hier die Frage

Intellekt trifft auf Bauernschläue: In «Pas son genre» verlieben sich ein Pariser Philosphielehrer und eine Coiffeuse aus der Provinz ineinander. Inwieweit kulturelle Unterschiede eine Liebesbeziehung eher bremsen oder befeuern, das lotet die Filmromanze aus – ohne uns jedoch zu überraschen.

Sie heisst Jennifer, wie ihre Lieblingsschauspielerin Jennifer Aniston. Er heisst Clément, und von dieser Jennifer Aniston hat er noch nie gehört – er verbringt seine Freizeit lieber mit Marcel Proust. Während er seine dicken Schmöker liest, singt sie Karaoke im Nachtclub. Sie trägt ihr Haar blond, er seines schwarz. Er kommt aus Paris, sie lebt in der nordfranzösischen Provinz.

Zwei Welten prallen aufeinander

Liebespaar auf Markt.
Legende: Die neue Sommerkomödie aus Frankreich: Blondine trifft Denker. ZVG / Agora Films

Nun, das sind viele Klischees auf einmal – und es sind noch längst nicht alle, die in «Pas son genre» zum Einsatz kommen. Der belgische Regisseur Lucas Belvaux – sonst eher auf soziale Thriller spezialisiert – entwirft zwei grob gestrickte Stereotypen: den abgehobenen Pariser Intellektuellen und das bodenständige Landei – ganz nach dem Grundrezept jeder romantischen Komödie. Je unterschiedlicher die Protagonisten sind, desto prickelnder, wenn sie zueinanderfinden.

Doch darum geht es dem Regisseur nicht. Jennifer und Clément verlieben sich auf den ersten Blick, sind im Handumdrehen ein Paar. Denn «Pas son genre» dreht sich nicht um die Frage, ob zwei so unterschiedliche Menschen ein Paar werden können – natürlich können sie das –, sondern darum, ob sie es auf die Dauer bleiben können.

Diese Frage entbehrt natürlich nicht einer gewissen soziologischen Brisanz, denn eine Paarbindung mit Menschen aus verschiedenen Gesellschaftsschichten impliziert, dass diese Schichten überhaupt miteinander kommunizieren können – eine Hypothese, die nicht jeder Soziologe bejaht.

Liebe als Experiment

In diesem Sinne sind Jennifer und Clément ein Experiment, das viele Fragen aufwirft: Gibt es eine gemeinsame Grammatik, mit der sich die beiden verständigen können? Wie gross ist die Schnittmenge des Vokabulars? Welche Kompromisse braucht es? Wer übernimmt eher die Codes des anderen? Wer verlangt mehr Anpassung an die eigene Welt?

All diese Fragen werden in «Pas son genre» aufgeworfen – und man schaut Emilie Dequenne als Jennifer und Loïc Corbery als Clément gerne beim Angleichungsprozess zu. Aber gleichzeitig macht sich auch Enttäuschung breit. Anfangs hatte man das Gefühl, die eingangs dick aufgetragenen Klischees seien bloss Mittel zum Zweck und es kämen im Verlauf der Beziehung komplexere Charakterzüge zum Vorschein. Doch Fehlanzeige: Jessica und Clément machen zwar ein paar Schritte aufeinander zu – sie liest seine Schmöker, er geht mit ihr in den Karaoke-Nachtclub. Aber viel mehr Psychologie vermag der Film nicht aufzubringen. Er bleibt beim Kopfgefühl, sie beim Bauchgefühl. Diagnose: Nicht kompatibel.

Ach ja, da ist ja noch das Kind

Buchhinweis

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Philippe Vilain: Pas son genre, Grasset 2011

In der zweiten Hälfte des Films interessiert man sich ohnehin weniger dafür, ob die Beziehung zwischen Jessica und Clément nun hält oder nicht. Man fragt sich vielmehr: Wo bleibt eigentlich Jessicas fünfjähriger Sohn, um den sie sich am Anfang des Films so liebevoll gekümmert hat? Sie versteckt ihn natürlich vor Clément, denn sie befürchtet zu recht, dass der freiheitsliebende Denker mit der Aussicht auf familiäre Verpflichtungen das Weite suchen würde.

Audio
Georges Wyrsch über «Pas son genre»
02:45 min
abspielen. Laufzeit 2 Minuten 45 Sekunden.

Der Bub ist ständig bei der Babysitterin, wir kriegen ihn kaum noch zu sehen. Darum stellt man sich als Zuschauer die Frage, warum man sich für eine Beziehung interessieren soll, deren potentielles Fundament ausgeklammert wird. Nicht aus dem Grund, weil Jessica eine Rabenmutter wäre. Es ist allein der Drehbuchautor Lucas Belvaux, der wohl nicht ganz verstanden hat, wie eine Mutter funktioniert.

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