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Film & Serien Therapie zwecklos: Ein Gespräch mit David Cronenberg

David Cronenberg zeigt in seinem Film «Crash» Sex mit Autos oder sinnierte in «Videodrome» über die Fusion von Videorecorder und Mensch. In «Eine dunkle Begierde» forscht er nach den Gründen für den Krach zwischen C. G. Jung und Sigmund Freud. Eine nur vordergründig überraschende Stoffwahl.

Der Ausspruch «Die Psychoanalyse ist jene Geisteskrankheit, für deren Therapie sie sich hält» von Sigmund Freuds Zeitgenosse Karl Kraus zeigt, dass der Streit um die Psychoanalyse keineswegs neu ist, sondern mit ihrer «Erfindung» gleich mitinitiiert wurde.

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«Eine dunkle Begierde» von David Cronenberg am Donnerstag, 12. Dezember, um 00:18 Uhr auf SRF 1.

Freuds Methode hat, auch abseits des therapeutischen Einsatzes, markante Spuren in der Geistesgeschichte des 20. Jahrhunderts hinterlassen. So sehr, dass sich Filmemacher David Cronenberg («A History of Violence») die Anfänge der Psychoanalyse als Filmsujet für seinen bislang vorletzten Film «Eine dunkle Begierde» ausgesucht hat.

Hier nämlich ist alles drin, was den Kanadier, der sich seit seinen Underground-Anfängen immer gern an den Bruchstellen zwischen rationaler Wissenschaft und Wahnsystemen bewegt hat, von jeher umtrieb: verrückte Wissenschaftler, Gurus, Sex, Perversion sowie das Verdrängte, das als Monster zurückkehrt.

Eine gefährliche Methode

Im Interview versichert der Kultregisseur David Cronenberg gleich zu Beginn, dass er selbst nie in einer Analyse war. Nie ist er auf jener ominösen Couch gelegen, die Sigmund Freud berühmt gemacht hat. Gleichwohl war da immer schon ein Interesse für die Psychoanalyse, für die «dangerous method», die gefährliche Methode. Zeichen einer anhaltenden Faszination für die Wirkung von Heilslehren, die wie Drogen unsere Wahrnehmung verändern können.

Cronenberg sieht gar Parallelen zwischen seiner Arbeit und der eines Psychoanalytikers: «Das Bemühen der Menschen, zu verstehen, was ‹menschlich› ist, beziehungsweise sein könnte, interessiert mich seit meinen Anfängen als Filmer. Der Psychoanalytiker arbeitet in dieser Hinsicht ähnlich wie ich als Künstler. Beide bewegen wir uns in der Realität und fragen uns: Was wird uns vorenthalten, was kriegen wir nicht zu sehen? Und meine Arbeit wie jene des Psychoanalytikers besteht darin, mir ein Bild dessen zu machen, das sich hinter der Realität versteckt – beziehungsweise hinter der Illusion von Realität.»

Psychiater, Patienten und libidinöse Beziehungen

Schon in seinem allerersten Film von 1966, einem siebenminütigen Sketch mit dem Titel «Transfer», sitzen sich ein Psychiater und sein Patient gegenüber und unterhalten sich über ihre libidinöse Beziehung. Die «gefährliche Methode» war demnach immer schon Bestandteil der Filmerei des Kanadiers.

Cronenberg sagt dazu: «Trotz des vorhandenen Interesses: Ich war nie zielgerichtet auf der Suche nach einem Stoff, mit dem sich die Geschichte der Psychoanalyse darstellen liesse. Eher zufällig wurde mir Christopher Hamptons Theaterstück zugetragen. Gelesen habe ich ‹A Dangerous Method› dann, weil ich neugierig war, denn ich kenne und schätze Hamptons Arbeiten sehr. Auch die Art der Beziehung zwischen Sigmund Freud und C. G. Jung war mir ansatzweise bekannt. Beim Lesen wuchs die Faszination dann über die Wertschätzung hinaus und ich wusste, das würde mein nächster Film werden.»

Erst Anerkennung, dann Zerwürfnis

«Eine dunkle Begierde» führt ins Zürich der vorletzten Jahrhundertwende. 1904 behandelt in der psychiatrischen Klinik Burghölzli der Arzt C. G. Jung (Michael Fassbender) die verhaltensauffällige Russin Sabina Spielrein (Keira Knightley). Dabei wendet der junge Schweizer eine revolutionäre Methode an, die der umstrittene Wiener Arzt und Psychologe Sigmund Freud (Viggo Mortensen) entwickelt hat, und sucht mittels Traumanalyse nach Hinweisen auf sexuelle Ursachen für die Neurose seiner Patientin.

Filmszene: Freud im Anzug mit Zigarre am Tisch, einen Brief lesend.
Legende: Der Lehrmeister: Viggo Mortensen als Sigmund Freud. SRF

Kurze Zeit später tritt Jung in direkten Kontakt mit dem Wiener Lehrmeister. Der ist zunächst begeistert vom Schweizer, sieht in ihm gar den Nachfolger auf dem Thron der psychoanalytischen Bewegung.

Doch dann kommt es über die von Freud betriebene Fixation aufs Sexuelle zum Zerwürfnis. Der Freudianer Jung wird zum Jungianer, das heisst, er weitet die Methode ins «Esoterische» (Freud) und stellt damit die Autorität der Wiener Vaterfigur in Frage.

Cronenberg macht den Bruch zwischen Jung und Freud zusätzlich sichtbar, indem er die Städte Zürich und Wien bewusst als Gegensatzpaar inszeniert: «Freud förderte den protestantischen Zürcher Bourgeois C. G. Jung mit Absicht, um so eine Leaderfigur für die psychoanalytische Bewegung präsentieren zu können, die, im Gegensatz zu seinen Wiener Mitstreitern, nicht jüdischer Herkunft war und deshalb vom grassierenden Antisemitismus nicht betroffen wäre. Einen Zürcher Protestanten würde keiner verdächtigen, jüdischem Mystizismus, als was die Psychoanalyse auch schon bezeichnet worden war, zu huldigen.»

Die Rückkehr des Verdrängten

Der Film verstärkt sodann den Eindruck, dass Freud Jung nicht unbedingt als Wissenschaftler schätzte, sondern hauptsächlich als Nicht-Juden. Obwohl die beiden sich spinnefeind wurden – daran Schuld hatte bestimmt auch der Umstand, dass der verheiratete Jung mit seiner Patientin Spielrein eine sadomasochistische Beziehung unterhielt – kamen Jung und Freud über die Beobachtung der vielfältigen Symptome der Triebunterdrückung zu einem ähnlichen Schluss: Die Zivilisation gibt sich einer Illusion hin. Jener Illusion, dass die destruktiven menschlichen Seiten durch Aufklärung, Ökonomie und Wissenschaft gebändigt worden seien. In Tat und Wahrheit funktionierte die Kontrolle vor allem mittels Verdrängung, Tabuisierung und Verbot. Ins Unterbewusstsein verbannt warteten die Urgewalten dort auf ein Comeback.

Cronenberg: «Freud wie Jung fürchteten, dass wenn nicht Methoden entwickelt würden, sich diesen Kräften zu stellen, eines Tages der Kessel explodieren würde und so die europäische Hochzivilisation schnell ins Stadium finsterer Barbarei zurückfallen könnte. Der Erste Weltkrieg hat diese Annahmen dann aufs Grausamste bestätigt.»

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