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Film & Serien Wie die Demokratie in Hollywood Einzug hielt

Nachdem Hollywood in den ersten Jahren des Tonfilms das Publikum mit Amoral und Unsitte bei der Stange gehalten hatte, verlagerte sich der Fokus ab 1934 auf die Vermittlung von positiven Werten: Die Filmstudios stellten sich nun plötzlich in den Dienst der Demokratie.

Die offizielle Geschichte geht so: 1934 wurde in Hollywood ein Kodex eingeführt, der die Filmstudios zwang, die Darstellung von Sex, Gewalt und moralisch verwerflichen Zuständen zu unterlassen. Die Zeit der aufregenden Filme, die man heute als «Pre-Code-Movies» neu entdeckt, war vorbei. Ab jetzt herrschte die Zensur, und es etablierte sich in den Studios eine Prüderie, die bis in die späten 1960er-Jahre anhielt.

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Was hat es mit Demokratie zu tun, wenn sich Hollywood-Traumpaare in den Screwball-Komödien erst einmal lange zanken, bevor sie zueinander finden? Einige weitere Antworten gibt es hier.

Doch das stimmt nur halb. Zuerst einmal: Der Production Code war nicht einfach ein Maulkorb, den Hollywood von ein paar verklemmten Sittenwächtern verpasst bekam. Er war eine von den Studios weitgehend akzeptierte Kurskorrektur, weil diese ein Imageproblem hatten. Das von der Wirtschaftskrise geplagte Kinopublikum empfand die Filmmetropole und ihre Produkte zunehmend als dekadent, zynisch oder eben schlicht anstössig. Eben noch hatte man die Stars für ihr zügelloses Leben bewundert, doch jetzt verachtete man sie dafür und genoss es, wenn sie zum Opfer von Skandalen wurden. «Sex sells» galt nicht mehr.

Eine neues Wertesystem für Hollywood: Demokratie

Hollywood reagierte auf diese öffentliche Ablehnung mit strengeren Sitten, aber nicht nur: Einige Jahre nach der Einführung des Tonfilms mussten die Studios auch in anderen Belangen einsehen, dass die Lücke zwischen dem, was sie zeigten, und dem, was das Publikum im Alltag erlebte, zu gross geworden war. Ein neues Wertesystem musste her, streng ausgerichtet auf ein Publikum, das nicht mehr schockiert, sondern aufgemuntert werden wollte. Und so kam die Demokratie samt ihren Idealen nach Hollywood.

Die Übernahme des Production Codes in Hollywood geschah also indirekt auf Druck der Öffentlichkeit. Sie war aber auch sehr eng verknüpft mit dem «New Deal» des demokratischen US-Präsident Franklin D. Roosevelt, einem komplexen Programm aus Wirtschafts- und Sozialreformen, das auch eine clevere psychologische Komponente enthielt: Das Selbstwertgefühl der Amerikaner galt es zu stärken und ihr Vertrauen in die US-Grundwerte wiederherzustellen. Und für diesen moralischen Auftrag war Hollywood zuständig.

«Ich, die Mehrheit»

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Demokratie – alle finden sie gut und doch gehen immer weniger an die Urne. Wird Demokratie zur Nebensache? «Nie und nimmer!», sagt Pony M. Im SRF-Projekt «Ich, die Mehrheit» stellte sich die Bloggerin der direkten Demokratie und liess die Mehrheit vom 27. April bis am 18. Mai 2014 über ihr Leben abstimmen.

«Böse» durch «gut» ersetzt

Generell kann man von den Filmen ab 1934 sagen, dass sie negative Werte durch positive ersetzten. An die Stelle der brutalen Protagonisten des frühen Gangsterfilms traten Detektive, die das Verbrechen bekämpften oder zumindest aufklärten. An die Stelle der ruchlosen Tänzerinnen, freizügigen Krankenschwestern und perfiden Sekretärinnen, die sich in die Chefetagen hochschliefen (die so genannten «Gold Diggers»), traten integre, rechtschaffene und schlagfertige Frauen – auffallend oft Journalistinnen – die ihren Männern sozial gleichgestellt waren. Und vor allem tauchte ein neuer Figurentyp auf, der die demokratischen Werte in Personalunion verkörperte: Der «Mann von der Strasse».

Der Mann von der Strasse trat auf in den Filmen von Frank Capra, hiess Mr. Deeds, Mr. Smith oder John Doe und wurde gespielt von James Stewart oder Gary Cooper. Er war ein einfach gestrickter Bürger, ausgestattet mit impulsivem Temperament und starkem Gerechtigkeitssinn. Er wehrte sich mit gesundem Menschenverstand gegen soziale Ungerechtigkeit. Kurz: Ein vorbildlicher Amerikaner, wie ihn sich Roosevelt wünschte.

Ein neues Genre kam auf

Aus der heutigen Sicht denkt man sich: Politisch instrumentalisiertes, aus Prinzip mehrheitsfähiges und zudem auch noch zensuriertes Kino – wie langweilig! Und oft war es das auch. Doch das Jahr 1934 markierte auch das Aufkommen eines neuen Genres: Es entstanden die ersten Screwball Comedies.

Der heute oft unpräzise angewandte Begriff bezeichnet eine ganz spezifische Form der turbulenten Beziehungskomödie, die unmittelbar mit der Einführung des Codes zu tun hat: Weil Weiblein und Männlein nun nicht mehr miteinander schlafen durften, rannten sie sich neckisch hinterher. In den Pre-Code-Filmen war Sex stets ein Ausdruck von Macht und Interessen gewesen – neu war der Geschlechtsakt das unausgesprochene, lustvolle Endziel von turtelnden und keifenden Paaren, die erst dann miteinander schlafen konnten, wenn sie sich geeinigt und versöhnt hatten. So geht Demokratie im Schlafzimmer.

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