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Vom Publikum gewünscht 10/10: Aboriginals, älteste Kultur der Welt
Aus Kontext vom 06.09.2020. Bild: KEYSTONE / AP / RICK RYCROFT
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Aboriginal in Australien Der Rassismus gegen Indigene kennt keine Hautfarbe

Viele australische Ureinwohner haben eine helle Hautfarbe. Auch sie bekommen zu spüren, worunter dunkelhäutige Indigene seit Generationen leiden.

Checkout im Einkaufszentrum. Der Ton eines Barcode-Scanners ist Begleitmusik zu einem ganz gewöhnlichen australischen Alltag. Delise Freeman zieht ihre Waren durch den Laserstrahl. Geschäftsanzug, leicht getönte Hautfarbe, nach hinten gebundenes Haar, eine Brille.

Die Mitvierzigerin verschwindet in der Masse der Menschen, die nach der Arbeit noch schnell einkaufen. Doch eigentlich ist Delise Freeman ganz anders, besonders sogar. Sie gehört zur ältesten überlebenden Kultur der Welt. Sie steht auf dem Land, das ihre Vorfahren schon seit Zehntausenden von Jahren bewohnen.

Eine Frau schaut für ein Portrait in die Kamera.
Legende: Rassenhass sei Alltag für viele australische Ureinwohner, sagt Delise Freeman. SRF/Urs Walterlin

Klischees ohne Ende

«Man muss nicht dunkel sein, um Aboriginal zu sein», sagt sie. Freeman ist Chefin einer Aboriginal-Organisation in der Kleinstadt Goulburn, rund zwei Stunden südlich von Sydney. Hier organisiert sie Hilfe für Bedürftige in der Ureinwohner-Gemeinde und steht jenen, die im Alltag nicht zurechtkommen, mit Rat und Tat zur Seite.

Entgegen einer weit verbreiteten Meinung wohnen die meisten Aborigines nicht im roten «Outback» oder im Urwald, sondern in Städten. Die Mehrheit der ersten Australier lebt fast genauso wie Nicht-Indigene.

Sie jagen nicht mit Speer und Bumerang, sagt Freeman. «Das ist genauso ein stereotypisches Bild wie das, wonach alle Aborigines nackt mit Lendenschurz durch die Gegend wandern würden».

Oder ganz dunkle oder sogar schwarze Haut haben.

Das traurige Schicksal der «Creamies»

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Nach mindestens 50'000 Jahren der Fast-Isolation vom Rest der Welt änderte sich das Schicksal der ersten Australier 1788 schlagartig. Am 26. Januar dockten die ersten britischen Sträflinge und ihre Bewacher mit ihren Schiffen im Hafen des heutigen Sydney an.

Es war der Beginn eines Genozids. Die Menschen, die den Kontinent seit Zehntausenden von Jahren besiedelt hatten, sollten verschwinden, denn man wollte ihr Land. Sie wurden vergiftet, erschlagen, versklavt, entrechtet, von ihrem Boden vertrieben, sie starben wie Fliegen an eingeschleppten Krankheiten. Das Blut jener, die überlebten wurde mit dem der Besatzer durchmischt. Meist durch Vergewaltigung, manchmal in Zweckehen, ganz selten durch Liebe.

Das Resultat waren Mischlingskinder. «Creamies» ist die abschätzige Bezeichnung für die Hellhäutigen. Zu Tausenden wurden sie ihren Eltern weggenommen, in Kinderheimen versorgt, und in weissen Familien untergebracht, wo viele ein Leben als Dienstboten führten, oftmals verbunden mit dem sexuellen Missbrauch durch den Adoptivvater.

Ziel dieser bis in die 1970er-Jahre geltenden Praxis war die Zwangsassimilierung von Vertretern einer Rasse, die damals zum Aussterben verurteilt schien. Viele Betroffene dieser «Gestohlenen Generationen» leiden bis heute unter der Politik. Sie haben keine Identität, weder eine schwarze noch eine weisse. Rund 800'000 Menschen in Australien zählen sich heute zu den Ureinwohnern – 3.3 Prozent der Gesamtbevölkerung.

Scham und Angst

Zwei Jahrhunderte der Vermischung mit Menschen anderer ethnischer Herkunft (siehe Kasten) haben dazu geführt, dass viele australische Ureinwohner äusserlich nicht immer als solche zu erkennen sind.

Viele Betroffene würden erst heute ihre indigenen Wurzeln entdecken, so Freeman. Einige, weil ihre Eltern ihre Vergangenheit vor ihnen versteckt hatten, aus Scham, aus Angst. Andere, weil sie sie verdrängt hatten.

Für solche Menschen gäbe es keinen Test, mit dem sie auf ihre Herkunft geprüft werden. Denn die Herkunft, die Verwandtschaft, sie beruht bei Aborigines auf Erzählungen. «Sie kommen dann zu uns, nehmen an kulturellen Anlässen teil. So werden sie langsam von den anderen als einer der ihren akzeptiert», meint Freeman.

Neue Erfahrung, altes Leid

Mit der Identifizierung als Ureinwohner kommt auch eine Erfahrung, von der sie zuvor als hellhäutige Menschen verschont geblieben sind: Neid. «Weisse Australier glauben, Aborigines würden vieles erhalten, das sie selbst nicht bekommen.»

Sozialhilfe, kostenlose Medikamente, sogar Autos. «Das stimmt schlichtweg nicht». Ureinwohner sind pro Kopf sogar schlechter versorgt als die Bevölkerungsmehrheit, was Gesundheit, Ausbildung und wirtschaftliche Möglichkeiten angeht.

Trotzdem hält sich der Mythos des «verwöhnten Aboriginal‘» – nicht zuletzt wegen einschlägiger Medienberichte.

Rassismus seit Jahrhunderten

Für Delise Freeman besteht kein Zweifel, dass Rassismus ein grosse Rolle spielt bei dieser Wahrnehmung. Rassenhass sei Alltag für viele Ureinwohner – seit 1788.

Hoffnung, dass sich das bald ändern wird, hat sie wenig. Rassismus springe von einer Generation zur nächsten. Wenn Freeman in Schulklassen von ihrer Herkunft erzählt, stellten «selbst kleine Kinder Fragen, die nur von Erwachsenen kommen können».

Fragen, beladen mit Vorurteilen, durchsetzt mit Ignoranz.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 8.9.2020, 09:03 Uhr

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