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Neukaledonien: Verliert Frankreich eine der letzten Kolonien?
Aus Kontext vom 20.06.2018. Bild: Keystone/AP/Theo Rouby
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Abstimmung in Neukaledonien Verliert Frankreich sein Inselparadies in der Südsee?

Die einstige Weltmacht Frankreich hat schon viele Kolonien ziehen lassen. Die Südsee-Insel Neukaledonien, 17'000 Kilometer von Paris entfernt, gehört Frankreich immer noch. Bald stimmt sie über die Unabhängigkeit ab.

Unter jungen Studierenden an der Universität in der neukaledonischen Hauptstadt Nouméa wird die Unabhängigkeitsfrage kontrovers diskutiert. Im kommenden November stimmt die Insel darüber ab, ob sie weiterhin zu Frankreich gehören will.

Die wichtigsten Fakten zu Neukaledonien

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  • Neukaledonien liegt gut 1000 Kilometer vor der australischen Nordostküste in der tropischen Klimazone. Die Hauptinsel Grande Terre und ein paar kleinere Inseln bedecken eine Fläche von 18'500 Quadratkilometern.
  • Von den 270'000 Einwohnern und Einwohnerinnen gehören gut 40 Prozent zur Urbevölkerung der Kanaken oder Melanesier. Die zweitgrösste Bevölkerungsgruppe sind Weisse, etwa ein Drittel. Sie sind entweder Nachfahren der ersten Siedler aus Frankreich (Caldoches) oder Métropolitains, also französische Neueinwanderer.
  • Amts- und Alltagssprache ist französisch. In den Stämmen der Ureinwohner werden knapp 30 kanakische Sprachen gesprochen.
  • Neukaledonien wurde von den Europäern erst spät, im 17. Jahrhundert, entdeckt. Napoléon III. nahm Neukaledonien 1853 in französischen Besitz.
  • In den 1980er-Jahren verhärtete sich der Unabhängigkeitskampf der kanakischen Separatisten. In den Verträgen von Matignon und Nouméa wurde ein Unabhängigkeitsprozess vereinbart, der nun am 4. November 2018 eine Abstimmung über eine Loslösung von Frankreich möglich macht.

Unabhängigkeit trotz wirtschaftlicher Nachteile

Die 21-jährige Vaimiti hat kanakische Wurzeln, gehört also zur unterprivilegierten Urbevölkerung Neukaledoniens. Sie ist für die Unabhängigkeit.

Dabei ist ihr klar, dass es der Insel wirtschaftlich schlechter gehen würde. «Unabhängigkeit bedeutet nicht, dass wir keine Beziehung mehr hätten zu Frankreich. Aber für die Entwicklung unseres Landes ist die Unabhängigkeit fundamental.»

Ganz anders sieht das Camille. Sie ist 23 und kommt aus Frankreich. «Bei einem Ja zur Unabhängigkeit gibt es eine Misere. Frankreich ist für Neukaledonien wirtschaftlich ein Segen.»

Drei junge Menschen sitzen an einem Tisch.
Legende: Die Studentinnen Camille (links) und Vaimiti sind sich uneinig über die Unabhängigkeit. SRF/Hans Ineichen

Ferienparadies mit wenig Touristen

Frankreich lässt sich seine Südsee-Insel umgerechnet rund 1,5 Milliarden Franken jährlich kosten. Staatsangestellte werden mit hohen Lohnzuschüssen auf die weit abgelegene Insel gelockt.

Aber Neukaledonien ist nicht nur wegen der künstlich erhöhten Löhne interessant. Auch die atemberaubende Natur lockt. Ein Korallenriff von 1500 Kilometer Länge umschliesst die Insel und bildet die grösste Lagune der Welt: 24'000 Quadratkilometer gross.

Das ist ein wahres Paradies für wohlhabende Tauch- und Segel-Liebhaber. Und Botaniker finden auf der Insel Pflanzenarten, die es sonst nirgendwo auf der Welt gibt.

Ein weisser Strand, an dem ein kleiner Junge entlangläuft.
Legende: Auch so sieht Frankreich aus: ein Strand in Neukaledonien. Keystone

Aber der Tourismus ist verhältnismässig wenig entwickelt. Zu weit abgelegen ist Neukaledonien. Die grossen Herkunftsländer in Europa sind rund 20 Flugstunden entfernt.

Auch aus Japan dauert ein Flug über 8 Stunden, nur Australien liegt mit 3 Stunden näher.

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Kanake
aus 100 Sekunden Wissen vom 16.10.2008. Bild: Keystone
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Nickel als wertvolles Gut

Eine wichtige Einnahmequelle der Insel ist traditionellerweise Nickel. Dieses chemische Element wird zum Härten von Stahl verwendet oder als Korrosionsschutz.

Neukaledonien ist der fünftwichtigste Lieferant von Nickel weltweit und das wird auch als Argument eingesetzt in den Diskussionen über die Zukunft.

Eine Nickel-Abbau-Plattform.
Legende: Nicht idyllisch, aber wertvoll: Der Abbau von Nickelerz hinterlässt Spuren in der Landschaft. SRF/Hans Ineichen

In den Händen der Einheimischen

Vor rund zehn Jahren wurde in der Nordprovinz, wo mehrheitlich Kanaken leben, eine neue Nickelfabrik gebaut – mit Geld des Schweizer Rohstoffhändlers Glencore.

Die Fabrik muss gemäss den gültigen Verträgen immer zur Mehrheit in kanakischem Eigentum sein. Dieses Projekt soll im grossen Stil Arbeitsplätze schaffen im Norden der Insel und die Urbevölkerung an die Hebel der Macht führen.

Fünf Männer spielen an einer Strandpromenade Pétanque.
Legende: Französisches Erbe: Einheimische spielen in Nouméa Pétanque. Keystone

Folgen der Unabhängigkeit

Denn wenn am 4. November eine Mehrheit Ja sagt zur Unabhängigkeit von Frankreich, werden die kanakischen Bevölkerungsschichten sehr bald in der Verantwortung sein.

Aber eine allfällige Unabhängigkeit würde eine wirtschaftliche Schwächung bedeuten. Dessen sind sich die Unabhängigkeitsbefürworter gewiss.

Der Generalsekretär der Separatistenpartei «Union Calédonienne», Gérard Regnier, rechnet mit einer Einbusse beim Bruttosozialprodukt von rund 30 Prozent.

Macron macht Selfies mit Menschen in Neukaledonien.
Legende: Macron signalisierte bei seinem Besuch, dass er die Unabhängigkeit nicht verweigern würde. Keystone

Betont respektvoll

Frankreichs Präsident Macron zeigte sich bei seinem Besuch in Neukaledonien Anfang Mai sehr respektvoll der Urbevölkerung gegenüber.

Er brachte als Gastgeschenk jenes Dokument aus französischen Archiven mit, in dem 1853 die Inbesitznahme Neukaledoniens durch Kaiser Napoléon den Dritten festgehalten wurde.

Deutlicher konnte Macron wohl nicht zeigen, dass er bereit wäre, Neukaledonien in die Unabhängigkeit ziehen zu lassen.

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