Zum Inhalt springen

Header

Audio
Deutscher BGH: «Judensau»-Relief darf bleiben
Aus Rendez-vous vom 15.06.2022. Bild: Keystone-SDA
abspielen. Laufzeit 4 Minuten 14 Sekunden.
Inhalt

Antisemitisches Kirchenrelief «Judensau»-Relief darf bleiben

Der Urteil steht: Die antisemitische Schmähplastik an der Wittenberger Stadtkirche bleibt. Das müssen Sie zum Gerichtsentscheid wissen.

Worum geht's? Das als «Judensau» bezeichnete mittelalterliche Relief befindet sich an der Wittenberger Stadtkirche. Das Relief stammt aus dem 13. Jahrhundert und zeigt ein Schwein, an dessen Zitzen zwei Menschen saugen, die durch Spitzhüte als Juden identifiziert werden können. Ein Kläger hatte verlangt, dass die Plastik entfernt werden soll. In den Vorinstanzen ist er damit gescheitert – nun hat sich auch der deutsche Bundesgerichtshof gegen die Entfernung der Darstellung entschieden.

Ist das Urteil nachvollziehbar? Zusammen mit einem Nachsatz des Gerichts ist es nachvollziehbar. Dieses mahnt an: Die kleine Info-Tafel unten an der Kirche reiche nicht aus, um über die monströse Wirkungsgeschichte dieser antisemitischen Darstellung aufzuklären. Hier müssen Kirche und Gemeinde noch mehr tun, meinte der Richter. Erst so könne aus einem Schandmahl auch ein Mahnmal werden.

Welcher Nachgeschmack bleibt? Die Schmähplastik an der Kirche in Wittenberg befindet sich im Epizentrum des Protestantismus. Der Reformer Martin Luther hielt exakt über diese «Judensau» antijüdische Predigten. Diese wurden mit Bildern von einer Sau, die Juden säugt, abgedruckt und gingen so um die Welt. Das Schwein stand im Mittelalter für den Teufel – und dieses Bild ist bis heute nicht totzukriegen.

Gibt es ähnliche Fälle in der Schweiz? Hierzulande ist nur ein derartiges Objekt bekannt: Im mittelalterlichen Chorgestühl des Basler Münsters fand sich bis 1996 eine solche Figur. Doch der reformierte Münsterpfarrer wollte so eine widerliche Figur, und damit den Judenhass, nicht mehr in seiner Kirche haben. Die «Judensau» wurde dem Jüdischen Museum der Schweiz in Basel übergeben, wo sie – eingebettet in Erklärungen – zu sehen ist.

Holzschnitt einer «Judensau»
Legende: Ein Holzschnitt aus dem 15. Jahrhundert: Abbildungen von Juden, die von einer riesigen Sau gesäugt werden und sogar dessen Hinterteil lecken waren damals keine Seltenheit. IMAGO / United Archives International

Wo wirkt das mittelalterliche Bild der «Judensau» heute noch? Das Schmähbild ist längst digital und global unterwegs. Es taucht in Webvideos auf und wird über Social Media verbreitet. Das Wort ist auch immer wieder auf Pausenplätzen oder in Fussballstadien zu hören. Wer jemanden als «Judensau» beschimpft, macht sich ausserdem strafbar. Es bedarf daher weiterhin an Aufklärung, wobei die Kirchen hier in besonderer Pflicht stehen.

Radio SRF, Rendez-vous, 15.06.2022, 12:30 Uhr;

Meistgelesene Artikel