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Gesellschaft & Religion Arrivederci bella lingua: Wieso lernen wir kaum noch Italienisch?

Deutschschweizer lieben das Tessin – die Küche, den Wein, das Wetter. Nur mit einem tun sie sich schwer: der Sprache. Sie lernen bevorzugt Englisch. Nun machen sich italienische Schweizer für ihre Sprache stark.

Er kämpft für das Italienische in der Schweiz: Renato Martinoni, Professor für italienische Sprache und Literatur an der Hochschule St.Gallen. 2014 wurde er wegen seines Engagements für den Brückenschlag zwischen den Schweizer Landessprachen mit dem Oertli-Preis ausgezeichnet.

Im Rahmen der Veranstaltungsreihe «Gemeinsamdenken» am Monte Verità hielt er Anfang April einen Vortrag über Sinn und Zweck der italienischen Sprache in der Schweiz. Denn in der aktuellen sprachpolitischen Debatte dominiert vor allem eine Frage: Verdrängt das Englische die französische Landessprache? Übersehen wird, dass nicht die französische, sondern die italienische Landessprache zunehmend verschwindet.

Wir sagen Polenta statt Mais

Dabei sind wir Schweizer Italien-Fans: Unser Pasta-Konsum liegt europaweit auf dem zweiten Platz nach Italien. Zahlreiche Italianismen haben Einzug gehalten in der deutschen Sprache: Wir sagen Polenta statt Mais, Peperoni statt Paprika, wir essen Zucchine oder Broccoli und trinken Latte Macchiato.

Italienische Kindernamen gehören zu den häufigsten in der Schweiz. Solche Angaben zur Italianità sammelt und publiziert Renato Martinoni seit über 20 Jahren. Was er auch feststellt: Seit dem Jahr 1980 hat die Zahl der Italienisch sprechenden Deutschschweizer um 48 Prozent abgenommen.

Secondos sprechen häufig Deutsch

Hauptgrund für den Rückgang ist der Wandel bei der Einwanderung von Arbeitskräften in die Schweiz. Viele ehemalige Gastarbeiter sind nach Italien zurückgekehrt. Ihre Nachkommen, die Secondos, sprechen Deutsch. Aktuell sprechen mehr Menschen Serbokroatisch als Italienisch.

Zwar ist das Italienische im Tessin und in Südbündner Tälern fest verankert. Doch in der Deutschschweiz wollen nur noch sechs Prozent der Schüler Italienisch lernen. Eine Umfrage zeigt: Wichtigster Grund für die Wahl der italienischen Sprache ist, dass es sich dabei um eine Landessprache handelt. Ausserdem ist es eine Feriensprache, eine schöne Sprache.

35 Prozent der Schüler, die Italienisch lernen, haben entweder einen italienischsprachigen Elternteil oder Grosseltern in Italien. Erst an dritter Stelle wird die italienische Sprache gewählt, weil sie nützlich im Beruf ist. Eigentlich erstaunlich, ist Italien doch der drittgrösste Handelspartner der Schweiz – nach Deutschland und den USA.

Deutschschweizer lernen kaum mehr Italienisch

Im 16. Jahrhundert fanden in der Deutschschweiz erste Italienischkurse für Gelehrte und Händler statt. In der ersten Bundesverfassung der Eidgenossenschaft von 1848 wurden die drei Landessprachen einander gleichgestellt, 1938 kam das Rätoromanische hinzu. 2010 wurde mit dem Bundesgesetz über die Landessprachen die Viersprachigkeit als Wesensmerkmal der Schweiz gestärkt.

Doch das Bundesgesetz stärkt die Minderheitensprachen vor allem innerhalb ihrer Sprachgrenzen. Ausserhalb der italienischsprachigen Schweiz ist der Rückgang drastisch. 1960 verwendeten noch 9,5 Prozent aller Personen in der Deutschschweiz die italienische Sprache als Alltagssprache. 1970 waren es 11,9 Prozent, 1980 setzte der Rückgang ein. Im Jahr 2000 waren es noch 6,5 Prozent.

«Der Rückgang der Italienischsprechenden muss in der ganzen Schweiz ein Thema sein», sagt Renato Martinoni. «Eine Sprache ist nicht nur einfach eine Sprache oder Grammatik; die vier Landessprachen sind Fundament der Mehrsprachigkeit und der Demokratie.» Nichts sei automatisch gegeben in der Schweiz, auch nicht der Föderalismus. Die Beherrschung von Landessprachen ist für Martinoni ein Zeichen der Offenheit, bewirkt politischen Ausgleich und Verständnis. Wer deutsch, französisch und italienisch spricht, kann mit 200 Millionen Menschen aus den grössten Exportmärkten der Schweiz kommunizieren, sagt Martinoni.

Alt-Bundesrat Flavio Cotti kämpft für seine Landessprache

Doch aus dem Publikum an der Veranstaltung am Monte Verità kamen kritische Fragen: Zuviel Sprachunterricht belaste die Kinder, Englisch sei wichtiger als Italienisch.

Auch Alt-Bundesrat Flavio Cotti war unter den Zuhörern. Cotti, der sich seit seinem Rücktritt aus dem Bundesrat fast nie öffentlich geäussert hat, erinnerte an seine Maturaklasse in Sarnen im Jahr 1959 – mit zwei Tessinern, zwei Romands und 27 Deutschschweizern. Die Mehrheit von ihnen wählte Italienisch als Schulfach. Später als Bundesrat verwendete Flavio Cotti die französische Sprache, weil es die Weltsprache der Diplomatie war. Erst später setzte sich die englischen Sprache durch.

Wer es zu etwas bringen wolle, sagte Cotti, müsse die heutige Weltsprache, das Englisch, lernen. Doch damit sei das Thema für die Schweiz nicht beendet. Die Mehrsprachigkeit der Schweiz sei einzigartig, schaffe Sympathien und bringe Vorteile im Ausland. «Und – ja», bemerkte Flavio Cotti, die Mehrsprachigkeit in der Schweiz sei gefährdet. Die gegenseitige Kenntnis der Landessprachen müsste gepflegt werden. Das sei die Aufgabe.

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