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Gesellschaft & Religion Die knorrigen Riesen aus einer anderen Zeit

Im süditalienischen Apulien finden sich Kulturperlen wie Sand am Meer. Doch es war weder der Lecceser Barock noch das imposante Staufer-Kastell, was unsere Redaktorin berührte – es war eine Wanderung durch einen Hain von uralten Olivenbäumen. Knorrige alte Wesen, die es da zu entdecken gibt.

Das erste, das einem auffällt, sind die unglaublich knorrigen Stämme. Sie ranken und winden sich – regelrechte Kunstwerke, hervorgebracht von der Natur. Insgesamt gibt es in Apulien 50 bis 60 Millionen Olivenbäume, die meisten von ihnen werden mehrere 100 Jahre alt. Einige zählen gar 1000 Jahre. Ihres Alters wegen nennt man sie auch «ulivi secolari». Der Name stammt vom italienischen «secolo»: «Jahrhundert».

Artikelreihe «Trouvaillen»

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Manchmal zeigt sich Kultur im unscheinbaren Lokal in einer fremden Stadt, in einem verlassenen Tal oder im schnöden Alltag. Die Redaktorinnen und Redaktoren von SRF Kultur stellen übersehene Kultur-Trouvaillen von 2014 vor.

Charakterköpfe, die der Meeresbrise trotzen

Was dieser Name wirklich bedeutet, begreift man erst, wenn man diesen Bäumen begegnet. Denn die «ulivi secolari» sind nicht einfach nur Bäume – es sind Individuen. Regelrechte Charakterköpfe, keiner gleicht dem andern: Einer lehnt sich trotzig der Meeresbrise entgegen, steht schief und geduldig da wie ein Fels in der Brandung. Ein anderer beugte sich so lange und beharrlich zu seinem Nachbarn hinüber, bis ihre Stämme verwuchsen. Ein dritter bildet mit seinem dicken Stamm eine kleine Höhle, in dem Mensch und Tier Unterschlupf finden.

Ist man erst einmal mitten drin im Olivenhain, kann man sich kaum mehr satt sehen an diesen knorrigen Wesen. Ja: «Wesen» ist das richtige Wort, denn die gutmütigen Riesen strahlen eine unvergleichliche Kraft aus. Wenn es ganz still ist, hat man manchmal das Gefühl, die uralten Bäume wollten einem eine Geschichte aus einer anderen Zeit erzählen.

Begehrtes Diebesgut

Weitere Trouvaillen

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Dass die «ulivi secolari» einzigartig sind, ist leider längst kein Geheimnis mehr. Die Bäume wecken Begehrlichkeiten: Seit ein paar Jahren gibt es Olivenbaum-Diebe, die bei Nacht und Nebel die Hundertjährigen ausgraben und ins reiche Norditalien oder nach Russland verkaufen. Dort fristen die charaktervollen Wesen ihr Dasein als Statussymbole in einem gepflegten Garten.

Doch die Apulier wehren sich: Seit einiger Zeit katalogisieren sie ihr Naturerbe. Heute tragen die meisten der «ulivi secolari» ein Schildchen mit einer Nummer. Und nicht wenige Menschen in Apulien sähen die Bäume gerne von der Unesco geschützt – als Teil des Weltnaturerbes.

Eigentlich müsste man ja von «Kulturerbe» sprechen, denn für die Menschen in der armen süditalienischen Region sind die knorrigen Wesen «testimoni di storia e cultura antiche» – also Zeugen antiker Geschichte und Kultur.

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