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«Rätsel Orgasmus»: Claus-Steffen Mahnkopf und Ann-Marlene Henning
Aus Sternstunde Philosophie vom 03.03.2019.
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Die Philosophie des Orgasmus Der sexuelle Höhepunkt, philosophisch betrachtet

Der Orgasmus macht nicht nur viele Paare sprachlos, sondern auch Philosophen. Nun befasst sich ein Buch mit dem Thema.

Bei Claus-Steffen Mahnkopf dreht sich in der Regel alles um die richtigen Töne im Orchester – nicht im Schlafzimmer. Denn hauptberuflich arbeitet er als Komponist. Mahnkopf ist aber auch Philosoph. Und als solcher stellte er erstaunt fest, dass sich bisher kaum jemand mit den philosophischen Fragen des Orgasmus beschäftigt hat.

Claus-Steffen Mahnkopf

Claus-Steffen Mahnkopf

Komponist und Philosoph

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Claus-Steffen Mahnkopf (56) hat Musikwissenschaft, Philosophie und Soziologie studiert. Der deutsche Komponist und Philosoph ist seit 2005 Professor an der Hochschule für Musik und Theater Leipzig. Mahnkopf veröffentlichte zahlreiche Bücher zur kritischen Theorie der Musik, schrieb aber auch zu anderen Themen. Sein neustes Buch «Philosophie des Orgasmus» ist im Januar 2019 im Suhrkamp-Verlag erschienen.

Zwar sprach Plato über Eros. Montaigne philosophierte sehr ausführlich, jedoch allgemein, über Sexualität. Und Foucault schrieb über die darunter liegenden Machtbeziehungen. Aber mit dem Orgasmus? Damit befasste sich keiner.

Augenblick und Ewigkeit

Dabei werfe der Orgasmus etliche philosophische Fragen auf, so Mahnkopf: «Wie ist eine Einheit der Zweiheit zu denken? Was bedeuten reine Präsenz, Zeitstillstand – oder der emphatische Augenblick? Und wie lange dauert ein Augenblick?»

Sexualität kenne ihre eigene Zeitlichkeit, so Mahnkopf: «Wie lange dauert gefühlt ein Orgasmus? Antwort: einen Augenblick und die Ewigkeit.»

Sinn und Zweck des Höhepunkts

Der Philosoph sucht auch Antworten auf die grundsätzliche Frage nach der Funktion des sexuellen Höhepunkts. Beim Mann scheint die Sache klar: Der Klimax dient der Fortpflanzung. Aber bei der Frau?

Weil die Wissenschaft darauf keine klaren Antworte habe, könnte der einzige Zweck des weiblichen Orgasmus eben im Erleben dieses schönen Gefühls bestehen, meint Mahnkopf: «Dann ist das die reine Lust, dann ist das eben nur zum Vergnügen da.»

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Sexualität ist nicht nur zur Fortpflanzung da
Aus Kultur Extras vom 05.03.2019.
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Sexualität ist laut Mahnkopf also mehr als Mittel zum (Fortpflanzungs-)Zweck. Der Höhepunkt diene auch der körperlichen und seelischen Reinigung: «Für einen kurzen Augenblick kann man die ganzen Frustrationen und Aggressionen vergessen», so der Philosoph.

Selbstbefriedigung ist Selbstentwicklung

Um den schönsten Orgasmus zu erleben, brauche es keine weiteren Personen: «Wenn ich das alleine mache, ist das eine andere Erfahrung.»

Die Masturbation sei eine besondere Form der Selbsterkundung, der Selbstwahrnehmung oder der kreativen Selbstentwicklung. Wenn andere involviert seien, bestehe das Risiko, dass sie vom himmlischen Gefühl ablenken.

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Masturbation als Form der Selbsterkundung
Aus Kultur Extras vom 05.03.2019.
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Ob allein oder zu zweit: Für Mahnkopf ist der Orgasmus etwas, das es im Alltag zwar gibt, aber etwas Ausser-Alltägliches darstellt – wie Sport treiben, in den Urlaub fahren oder ein Fest veranstalten.

Als schwierig empfindet der Philosoph die mediale Omnipräsenz des Themas: «Wir haben eine Orgasmus-Industrie. Ich frage mich: Muss das sein? Es wird ein permanenter Druck aufgebaut und ausgeübt.»

Buchhinweis

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Claus-Steffen Mahnkopf: «Philosophie des Orgasmus». Suhrkamp, 2019.

Orgasmen für alle

Das kommt dem Genuss der Lust in die Quere. Ebenso wie religiöse und moralische Wertvorstellungen. So denkt Claus-Steffen Mahnkopf auch darüber nach, wie der Weg zu einer befreiten Gesellschaft aussehen könnte: «Wie wäre die Menschheit, wie müsste sie leben, um in schöner Regelmässigkeit diesen schönsten der schönen Augenblicke geniessen zu können?»

Dazu müssten nicht nur Religionen, Rechtssysteme und Moralvorstellungen umgebaut werden: «Wir müssen ökonomische Gleichheit herstellen, das Verhältnis zwischen Mann und Frau richtig in die Balance bringen – und so weiter», sagt der Philosoph. «Wir wissen sofort: Das ist eine riesige Aufgabe.»

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