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Gesellschaft & Religion «Die Sprache des Geldes»: Ein Wörterbuch für Wissbegierige

Bei der Sprache der Wirtschaft packt den Laien gern das Gefühl, er habe nichts kapiert. Doch wie jede andere Sprache kann man auch das Fachchinesisch der Ökonomen lernen. Das Wörterbuch des Romanautors John Lanchester will dabei helfen.

John Lanchester schreibt: «Es klafft eine gewaltige Lücke zwischen den Menschen, die wirtschaftliche Zusammenhänge verstehen, und jenen, die es nicht tun.» Es geht darum, zu verstehen, was passiert. Denn dass die Wirtschaft der Faktor ist, der das Gesicht der Welt bestimmt, hat spätestens die Finanzkrise von 2008 klar gemacht.

Der englische Romanautor John Lanchester, dem 2012 der grossartige Roman «Kapital» gelang, ein Gesellschaftsbild der entfesselten Finanzwirtschaft, hat sich durch die Recherchen für diesen Roman grosses Wissen angeeignet, das er nun in diesem Sachbuch mit uns teilt. 360 Schlagworte umfasst sein kommentiertes Lexikon, jeweils einige Zeilen bis drei Buchseiten lang.

Zur Person

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John Lanchester (geb. 1962 in Hamburg) debütierte 1996 mit «Die Lust und ihr Preis». Der ganz grosse internationale Durchbruch gelang dem Briten 16 Jahre später mit «Kapital», einem Roman über das Grossstadt-Leben im Zeichen der Finanzkrise.

Zum Beispiel «Reservewährung»

Lanchester übersetzt Ausdrücke wie «Rightsizing» – ungefähr «Redimensionierung». Oder «Bail-out»: Das sind die sogenannten «Rettungspakete» für klamme Staaten, die in der Regel an sehr harte Bedingungen geknüpft sind.

Er erklärt Wörter wie «Reservewährung» – eine Währung, die auch von ausländischen Regierungen und Unternehmen in grossen Mengen gehalten wird – und «quantitative Lockerung»: «Wenn der Leitzins so niedrig ist, dass er unmöglich noch weiter gesenkt werden kann, während gleichzeig nach wie vor die Notwendigkeit besteht, die Konjunktur anzukurbeln, (...) kauft eine Regierung ihre eigenen Anleihen zurück und benutzt dafür Geld, das eigentlich gar nicht existiert.»

Kompliziert? Ja, aber John Lanchester gibt sich und uns zwei Seiten, um diese Methode der Konjunkturbelebung zu erklären. Lanchesters Buch ist nützlich, verständlich und zuweilen spielerisch.

Das Kellnerinnen-Kuriosum

Der Autor bietet auch Navigationsmöglichkeiten durch sein Lexikon. Man kann zum Beispiel einfach den Kuriositäten folgen. Erstes Beispiel: Wissen Sie, wo in Nordamerika der Euro gesetzliches Zahlungsmittel ist? Auf der kleinen französischen Inselgruppe Saint Pierre et Miquelon, 25 km vor der Küste Neufundlands, 6'800 Einwohner.

Zweites Beispiel: Was ist der Hot-Waitress-Index? «Er besagt, dass attraktive Frauen bei einer Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse auch bessere Jobs ergattern (...) Wenn die Zeiten schlechter werden, enden die Frauen, die ansonsten diese Pretty-Girl-Jobs erhalten hätten, stattdessen als Kellnerinnen. Mit einem Wort: je schlechter die Wirtschaftslage, desto attraktiver die Kellnerinnen.»

Buchhinweis

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John Lanchester: «Die Sprache des Geldes – und warum wir sie nicht verstehen (sollen)». Klett-Cotta, 2015.

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Es ist eine Wohltat, wie John Lanchester sich selbst verortet: Wer die Sprache des Geldes lerne, übernehme nicht automatisch ein Denksystem, schreibt er. Man merkt zwar, dass ihm Singapur als «Welthauptstadt der freien Marktwirtschaft und des Sozialwohungsbaus in einem» näher liegt als die strenge Politik des Internationalen Währungsfonds.

Aber er wendet sich klar gegen weltanschauliche Vorurteile: «Die meisten von uns beziehen (...) ihre Ansichten aus ein und derselben Ecke. Wenn man weiss, wie jemand über ein bestimmtes Thema denkt (zum Beispiel über SUVs in der Innenstadt oder Michelle Obamas Kampf gegen Uebergewicht bei Kindern), dann weiss man auch, wie diese Person über alles Übrige denkt, bis hin zu der Partei, die sie wählt.»

So eindimensional verhalten wir uns meist. John Lanchesters «Die Sprache des Geldes» unterstützt uns dabei, das zu ändern. Damit wir diesen Jargon, der die Welt bestimmt, besser verstehen.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur aktuell, 16.12.2015, 06:50 Uhr

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