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Gesellschaft & Religion Domodossola 1944: Ein Stück italienisch-schweizerische Geschichte

Vom 10. September bis zum 23. Oktober 1944 war das italienische Städtchen Domodossola die Hauptstadt der Republik Ossola. Partisanen hatten an der Grenze zum Wallis und Tessin ein 1600 Quadratkilometer grosses Gebiet von den Faschisten befreit und setzten eine provisorische Regierung ein.

Es ist ein atemberaubender Blick, der sich in 1360 Meter Höhe übers Tal des Toce bietet. Links schimmert der Lago Maggiore. Am Ende eines langen Tals grüsst der Lago d’Orta. Über allem azurblauer Himmel, in dem weiss der Gipfel des Monte Rosa schwebt. Unter uns, auf der anderen Seite des Toce leuchten die Dächer der einstigen Walser-Siedlung Ornavasso.

Bergführer Tim Shaw führt gern auf die Bergkuppe über dem Marmorbruch von Candoglio. Sie ist ein guter Ausgangspunkt für eine Wanderung ins Val Grande. «Heute sind wir auf Widerstandspfaden unterwegs», erklärt Tim Shaw. 70 Jahre nach Kriegsende wollen die Wanderer etwas über ein besonderes Kapitel der italienisch-schweizerischen Geschichte erfahren.

Vorbild für das Italien der Nachkriegszeit

«Wenn sie den Blick kreisen lassen», sagt Tim Shaw, «dann sehen sie die imaginären Grenzen der Partisanenrepublik Ossola. Sie existierte nur 40 Tage, aber sie wurde zum Vorbild für das neue demokratische Nachkriegsitalien.»

1944 hatten italienische Partisanen ihre Angriffe auf Stützpunkte der Faschisten im Ossola-Gebiet verstärkt. «Im September», erklärt Historiker Piero Ragozza, «mussten die ‹Nazifascisti› sich geschlagen geben. Aus Mailand und dem Schweizer Exil eilten führende Männer der wichtigsten politischen Lager nach Domodossola und riefen am 10. September die freie Republik Ossola aus. Seit der Machtergreifung Mussolinis war das der erste Versuch, auf italienischem Boden wieder ein Demokratie aufzubauen.»

«Es war die Schweiz, die uns half»

Partisan Giovanni Zaretti (geboren 1921) erinnert sich noch daran, «wie wir voller Stolz durch Domodossola marschierten.» Doch die kleine Republik hatte es von Beginn an schwer. «Obwohl wir zwei Flugplätze angelegt hatten, liessen die Alliierten uns im Stich», erinnert sich Franco Sgrena (geboren 1929) noch immer wütend. «Es war die Schweiz, die uns half», fügt Luigi Fovanna (geboren 1929) hinzu. «Sie schickten Nahrungsmittel. Und keiner von uns wird vergessen, dass Schweizer Bauern 2500 unserer Kinder bis zum Kriegsende bei sich aufnahmen.»

Selten kommen die drei Partisanen in das im Tal gelegene Mergozzo. Hier, in der Casa della Resistenza erinnern Fotos und Filme an den Widerstand im Ossola-Tal. «Für uns ist das mehr als ein Museum», sagt Giorgi Danini, dessen Grossvater einst die Erschiessung von 42 Partisanen in Mergozzo beobachtete. «Für uns ist das hier ein lebendiger Ort der Erinnerung.»

35‘000 Menschen fanden Asyl in der Schweiz

Die Wanderer oben in den Bergen sind inzwischen auf Reste alter Häuser gestossen. «Wir sind hier an den Ruinen der Corte Bue», erklärt Tim Shaw. «In einer Säuberungsaktion, die vom 9. bis 23 Oktober 1944 dauerte, brannten die Nazis fast alle Dörfer im Val Grande nieder. Sie wollten den Partisanen keinen Rückzugsort mehr geben. Und hier, an diesem Haus, sieht man diese Brandspuren noch. Dieser Brand ist nicht zufällig entstanden. Das war die SS.»

Am 23. Oktober 1944 hatten die Faschisten das Gebiet der Republik wieder unter Kontrolle. Fast 35‘000 Menschen aus der Region Ossola fanden damals Asyl in der Schweiz. Die Namen derer, die es nicht schafften und von den Nazis ermordet wurden, finden sich an einer Mauer, gleich neben der Casa della Resistenza. Es sind mehr als Tausend. «Solange sich jemand für sie interessiert, sind sie nicht vergessen», sagt Giorgi Danini.

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