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Intersexualität im Sport «Es ist nie fair, wenn Menschen gegen Menschen laufen»

Die südafrikanische Läuferin Caster Semenya holt eine Goldmedaille nach der anderen. Weil sie intersexuell ist, wird darüber diskutiert, ob ihre Teilnahme an Frauen-Wettläufen fair ist.

Das Wichtigste in Kürze:

  • Der Erfolg der intersexuellen Läuferin Caster Semenya löst eine Diskussion aus: Ist es fair, dass sie bei Wettläufen für Frauen antritt?
  • Fairness gebe es bei Wettkämpfen nie, sagt die Geschlechterforscherin Marianne Meier. Jede und jeder bringe andere physische Voraussetzungen und Talente mit.
  • Meier plädiert dafür, intersexuelle Athletinnen uneingeschränkt zu akzeptieren.

Caster Semenya fällt auf. Nicht nur, weil sie mit ihrem breiten Gesicht und dem männlichen Körperbau nicht in die gängigen Klischees von Weiblichkeit passt. Sondern auch, weil sie, wie kürzlich bei der Weltmeisterschaft in London, mit Leichtigkeit an den anderen Läuferinnen vorbeizieht. Ist das fair?

Zur Person

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Marianne Meier ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Interdisziplinären Zentrum für Geschlechterforschung der Universität Bern.

Marianne Meier vom Interdisziplinären Zentrum für Geschlechterforschung der Universität Bern hat darauf eine eindeutige Antwort. Sie ist überzeugt: «Fairness ist ein Mythos. So lange Menschen gegen Menschen antreten, wird es nie ganz fair sein. Sonst wären es Roboter, die gegen Roboter antreten.»

Intersexuelle werden oft kritisch beäugt

Schliesslich hätten Athletinnen und Athleten nie genau die gleichen körperlichen Voraussetzungen. Marianne Meier verweist auf ein prominentes Beispiel: Usain Bolt.

Anatomisch gesehen habe er die perfekten Masse, um auf seiner Lauf-Distanz schnell zu sein. Doch: «Bei ihm hat niemand aufgeschrien und gesagt: ‹Er gewinnt immer, das ist unfair.›»

Caster Semenya

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Die Läuferin Caster Semenya aus Südafrika ist Olympiasiegerin im 800-Meter-Lauf. Semenya ist intersexuell: Sie wurde als Frau sozialisiert und fühlt sich als Frau. Doch ihre Testosteronwerte sind überdurchschnittlich hoch.

Gestern Donnerstag lief Semenya beim Leichtathletik-Treffen «Weltklasse Zürich».

Auch über die Dominanz kenianischer Langstreckenläufer, die quasi im Höhentrainingslager aufgewachsen sind, beklage sich niemand. Semenya und andere intersexuelle Sportlerinnen dagegen würden oft überkritisch beäugt.

Dabei sei eines wichtig zu betonen, sagt Meier: «Caster Semenya ist intersexuell geboren. Sie ist nicht gedopt. Ich glaube, das Publikum kann das immer besser differenzieren.»

Jubel statt Häme

2009, bei der Leichtathletik-WM in Berlin, pfiff das Publikum Semenya noch aus. Bei den Olympischen Spielen in Rio im vergangenen Jahr und jetzt bei der WM in London dagegen bejubelten die Zuschauer die südafrikanische Läuferin.

Ausgepfiffen wurde stattdessen ein anderer: der US-amerikanische Sprinter Justin Gatlin, ein ehemaliger Dopingsünder. Der Sport und die Berichterstattung in den Medien haben also teilweise zu einem Bewusstseinswandel geführt – zumindest beim Publikum.

Absurde Szenarien

Auf die Verantwortlichen des Leichtathletik-Weltverbands IAAF trifft das wohl weniger zu. Der Verband hatte schon einmal einen Testosteron-Höchstwert festgelegt – dieser wurde später vom Internationalen Sportgerichtshof in Lausanne ausgesetzt (siehe Textbox). Die meisten Beobachter gehen davon aus, dass der Weltverband einen Testosteron-Grenzwert für Atlethinnen schon bald wieder einführen könnte.

Spielregeln für Intersexuelle

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2011 führte der Leichtathletikverband IAAF einen maximalen Testosteronwert ein: Frauen, die ihn überstiegen, mussten ihr Testosteron mit Hilfe von Medikamenten senken, um an Wettbewerben teilnehmen zu dürfen. 2015 wurde diese Regel ausgesetzt. Eine Studie zeigt nun: In fünf Disziplinen haben Athletinnen mit viel Testosteron Vorteile.

Für Marianne Meier ein höchst problematisches Vorgehen: Dann sei es im Grunde legal, bis zu dieser Obergrenze Testosteron zu sich zu nehmen. Das würde illegales Doping födern: «Eine Obergrenze führt also zu ziemlich absurden Szenarien.»

Bereicherung statt Mangel

Zudem sei es anmassend, anhand eines einzigen Kriteriums zu entscheiden, wer eine Frau sei und wer nicht. Auf diese Weise werteten die Verbände alle ab, die nicht in die Norm passten, kritisiert Meier.

Sportfunktionäre sollten Anderssein nicht länger als Mangel begreifen, sondern als Bereicherung.

«Das muss man aushalten»

Man könnte einwenden, das ist naiv. Schliesslich müssen sportliche Leistungen irgendwie vergleichbar sein. Doch Marianne Meier ist sich durchaus bewusst, welche Konsequenzen eine uneingeschränkte Akzeptanz gegenüber intersexuellen Athletinnen hätte:

«Sie würden dank dem höheren Testosteronwert die Rennen der nächsten Jahre gewinnen. Wie in anderen Disziplinen ein Michael Phelps oder ein Usain Bolt dominiert.» Diese hätten auch über Jahre aufgrund von gewissen Wettbewerbsvorteilen oder Talenten gewonnen: «Das muss man aushalten.»

Statt von oben herab Strafmassnahmen zu verordnen, müssten sich die Sportverbände der Diskussion stellen, fordert Meier. Sie sollten mit den betroffenen Athletinnen und Athleten, ihren Trainern und Fachleuten darüber beraten, wie man menschenwürdig mit intersexuellen Sportlerinnen und Sportlern umgehen kann.

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