Zum Inhalt springen

Header

Audio
Adieu Nutztierhaltung - Ein Bauer steigt aus
Aus Kontext vom 16.04.2019. Bild: SRF / Miriam Künzli
abspielen. Laufzeit 13 Minuten 34 Sekunden.
Inhalt

Ewige Tierliebe Warum die Schweiz auf Kühe steht

Ein Bauer nutzt seine Kühe nicht mehr – und alle glühen vor Glück. Was macht unsere Beziehung zu Kühen so besonders?

«Guck, Bub, eine Muh!» Kühe sind überall. Der Zürcher Publizist Marc Valance hat herausgefunden: In der Kuhhochburg Schweiz sind es immer höchstens fünf Kilometer – schon steht da eine und stiert einen stumm an, bevor sie weiterarbeitet. Keine Zeit für Gespräche: Abends muss sie Milch abliefern.

Verwöhnen statt verwursten

Nicht bei Toni Kathriner. Der hat zwar noch Kühe. Aber die führen ein Herrenleben. Ein Bauer steigt aus, schrieben wir neulich über einen Artikel und ernteten grosse Emotionen für einen Landwirt, der seine Nutztiere zu, nun ja, Nichtsnutzen machte. Kathriner melkt seine Kühe nicht mehr – verwursten lässt er sie schon gar nicht.

Kühe streicheln an Mamas starker Hand, der erste Milchschnauz, die letzten Sommerferien auf dem Biobauernhof: Das mag alles zum Narrativ einer normalen Schweizer Kindheit gehören. Aber erklärt es die gewaltigen Gefühlsausbrüche in unserer schmalen Kommentarspalte?

Ein Hoch auf keinen Hippie

«Toni Kathriner löst einen jahrtausendealten Konflikt», sagt Florian Werner, deutscher Kulturwissenschaftler und Autor des Buchs «Die Kuh – Leben, Werk und Wirkung». «Wir leben ja seit Urzeiten mit der Spannung, dass wir das, was wir lieben, zugleich ausnutzen und töten.»

Ein Junge schmiegt sich in einem Stall an eine liegende Kuh.
Legende: Kuscheln mit Kuh – ein zeitloses Urbild helvetischen Heranwachsens. Emmanul Ammon / Hier und Jetzt Verlag

Kathriners salomonischer Ausstieg – die Kühe noch zu halten, aber nicht mehr zu quälen – ziehe gleichsam den Stachel aus dem Fleisch. Komme hinzu, sagt Werner, «dass dieser Kathriner aussieht wie ein rustikaler Bauer – und nicht wie ein Hippie.»

Geldesel mit Hörnern

Marc Valance kann gerade nicht antworten. Der Kuhkenner sitzt in Namibia bei den Nilpferden, wie er per Buschtelefon meldet. Die gute Nachricht: Sein bildstarker Bestseller «Die Schweizer Kuh – Kult und Vermarktung eines nationalen Symbols» ist sechs Jahre nach Erscheinen in den meisten Schweizer Buchläden greifbar.

Buchhinweise

Box aufklappen Box zuklappen
  • Florian Werner: «Die Kuh – Leben, Werk und Wirkung», Nagel & Kimche, 2009.
  • Marc Valance: «Die Kuh. Kult und Vermakrtung eines nationalen Symbols.» Hier und Jetzt Verlag, 2013.

Die helvetische Liebe zur Kuh ist alt, lesen wir da. Sehr alt. Schon in der jungen Eidgenossenschaft wird die Kuh zum Symbol für Gemeinnutz. Eine Kuh im Stall ist nicht weniger als die Lebensversicherung einer Familie. Und erst jetzt kommt's: Bis zur Industrialisierung im 19. Jahrhundert bildet die Kuh die Grundlage des Schweizer Reichtums.

Die Coolness der Kuh

Die Kuh passe zur Schweiz, findet Florian Werner, der in Berlin lebt. «Sie ist wehrhaft und stark. Und sie hat diese mächtigen Hörner, die sie allerdings selten einsetzt. Die Kuh könnte den Menschen leicht überrollen – zieht es aber meist vor, neutral zu bleiben.»

Kühe mit aufgemaltenm Schweizerkreuz auf der Schweizer Botschaft in Berlin.
Legende: Allzweckwaffe in der Aussendarstellung: «Kühe» auf der Schweizer Botschaft in Berlin. fotocommunity.de

Dass Werbung und Tourismus die Kuh früh entdeckten – es war so naheliegend wie der nächste Dorfladen oder Kuhfladen. Die friedliche Kampfansage eines werdenden Wanderlandes, das ein wackeres Wappentier brauchte: Bei uns werden Sie nicht gemolken. Oder auch: Wir nehmen Sie nicht auf die Hörner?

Neuland in Sicht

Nun sinkt der Kuhmilchkonsum, wie unlängst bekannt wurde. Ob sich viele Viehbauern mit Visionen wie unser Kathriner noch lange Kühe halten – es ist zumindest fraglich. Bange Frage: Geht die Kuh bald vor die Hunde?

«Die Kuh ist kein komplettes Auslaufmodell», sagt Florian Werner. «Aber man muss wissen: Es gibt die Kuh nur, weil wir sie gezüchtet haben. Wenn sie nicht mehr genutzt wird, ist ihre Zeit vorbei.»

Ein paar Schaurinder, meint Florian Werner, werde es dann vielleicht noch geben – so wie es einst den Schmuck-Eremiten gab am Königshof. Die Schweiz werde dann ein anderes Land sein.

Meistgelesene Artikel