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Ich, die Mehrheit Klicken und einwerfen: Abstimmungen im Internet und an der Urne

Im Internet werden wir laufend nach unserer Meinung gefragt, derzeit auch im Demokratie-Experiment «Ich, die Mehrheit». Doch was haben solche Votings mit Demokratie zu tun? Einen Zusammenhang zwischen Internetnutzung und politischer Partizipation gibt es, sagt Medienwissenschaftler Florin Büchel.

Zur Person

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Legende: IPMZ

Florin Büchel ist Medienwissenschaftler und Assistent am Institut für Publikzistikwissenschaft und Medienforschung der Universität Zürich. Er beschäftigt sich mit dem Zusammenhang von Massenmedien und Politik.

Votings im Internet sind Mehrheitsentscheide – auch die Demokratie funktioniert mit Mehrheiten. Daraus zu schliessen, dass ein Online-Voting das gleiche ist wie eine Abstimmung an der Urne, wäre aber falsch: «Der Mehrheitsentscheid ist ein Tool für den demokratischen Prozess. Er ist für die Demokratie ein Mittel zum Zweck, aber nicht ihr Kern», sagt Florin Büchel, der an der Universität Zürich über den Zusammenhang von Mediennutzung und Politik forscht.

Mehrheitsentscheide würden in Demokratien deshalb verwendet, weil man ja nicht mit allen Stimmbürgern diskutieren und so eine Entscheidung fällen könne – auch wenn dies in der Landsgemeinde in gewisser Weise gemacht werde.

Aktiv im Netz, aktiv an der Urne?

Einen Zusammenhang von Online-Votings und Demokratie gibt es aber: Wer im Netz politisch aktiv ist, ist es gewöhnlich auch in der Realität. «Es gibt mehrere Studien, die einen Zusammenhang zwischen Mediennutzung und politischer Teilhabe zeigen», sagt Büchel. Wer also im Internet ein starkes Netzwerk habe, auf Facebook aktiv sei und dort viele Freunde habe, sei wahrscheinlich auch in einem weiteren Sinne politisch aktiv.

Einen direkten Einfluss der Online-Nutzung auf die Stimmbeteiligung lasse sich aber nicht feststellen. Vielmehr würden sich im Netz aktive Menschen auf andere Arten politisch engagieren. Etwa, indem sie sich über Politik informieren oder an Demonstrationen teilnehmen. Diese Erkenntnisse beziehen sich allerdings auf die Nutzung von Onlinemedien allgemein. Spezifische Erkenntnisse zu Online-Votings gebe es in der Medienforschung noch nicht, sagt Büchel.

Übersättigung und Übermüdung

In der Schweiz gibt es zahlreiche Abstimmungsvorlagen, mit denen sich das Stimmvolk auseinandersetzen soll. Führen die zusätzlichen Online-Votings zu einer Übersättigung? Diese Befürchtung teilt Büchel teilweise. «Die tiefe Wahlbeteiligung in der Schweiz könnte auch ein Ausdruck von Übermüdung sein.» Diese könnten von den vielen Votings verstärkt werden. Allerdings lassen sich die Online-Abstimmungen meist leicht ignorieren – wer sich nicht für eine Umfrage interessiert, nimmt eben einfach nicht daran teil.

«Ich, die Mehrheit»

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Demokratie – alle finden sie gut und doch gehen immer weniger an die Urne. Wird Demokratie zur Nebensache? «Nie und nimmer!», sagt Pony M. Im SRF-Projekt «Ich, die Mehrheit» stellte sich die Bloggerin der direkten Demokratie und liess die Mehrheit vom 27. April bis am 18. Mai 2014 über ihr Leben abstimmen.

Einen Zusammenhang zwischen Online-Umfragen und Politik könnte es auch geben, wenn sich Politiker von den Resultaten solcher Votings beeinflussen lassen. Büchel geht davon aus, dass dies vorkommt, sieht darin aber ein Problem. Denn diese Resultate entstehen in einem Verfahren, das den demokratischen Ansprüchen nicht genügt. Vor Abstimmungen gebe es beispielsweise in Medien oder durch das Abstimmungsbüchlein einen Meinungsbildungsprozess. Bei Votings fehle dies. Auch müssen bei der Formulierung von Abstimmungsfragen gewissen Regeln eingehalten werden, die für Online-Votings nicht gelten.

Die Community bestimmt

Bei «Ich, die Mehrheit» vermischen sich Online-Votings und demokratische Volksentscheide: Denn Pony M. liess online darüber abstimmen, welches Votum sie am Sonntag zur Mindestlohninitiative an der Urne abgeben soll. Darf sie das überhaupt? «Ja, da sehe ich kein Problem», sagt Büchel. Die Kunstfigur Pony M. schade sich damit höchstens selbst, in dem sie in dieser Frage ihr Mitbestimmungsrecht schmälert. Positiv findet Büchel, dass bei dem Projekt im Gegensatz zu anderen Votings eine Meinungsbildung stattfinde, weil die Abstimmenden in der Kommentarfunktion über die Frage diskutieren können.

Dass «Ich, die Mehrheit» die Teilnehmer zu politischer Partizipation motiviert, hält Büchel für möglich. Einen politisch völlig uninteressierten Menschen werde das Projekt aber nicht zu politischer Partizipation bewegen können. Und auch ein wissenschaftlich messbarer Erfolg lasse sich damit zwar kaum erzielen. Dass aber einzelne Teilnehmer sich zu Denkprozessen anregen lassen und auch wieder mal an die Urne gehen, sei durchaus denkbar. Und das wäre für Büchel ein Erfolg: «Schliesslich kommt es in der Demokratie auf jeden einzelnen an.»

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