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Gesellschaft & Religion In Wil spricht man am schnellsten, in Langenthal am langsamsten

In Bern reden sie langsam, in Zürich schnell: Was jedes Deutschschweizer Kind intuitiv weiss, bestätigt eine neue Studie des «Dialäkt-Äpp»-Erfinders Adrian Leemann. Die Untersuchung bietet aber auch ein paar schöne Überraschungen.

  • Ausgewertet wurden über 18'000 Aufnahmen von rund 3'000 Usern aus 452 Orten der Deutschschweiz.
  • Der Deutschschweizer Westen spricht langsam, der Osten und der Nordwesten sprechen eher schnell.
  • Schnellster Sprechort ist Wil SG, der langsamste Langenthal BE.

Adrian Leemann ist ein Mann mit vielen guten Ideen, wenn es um die Erforschung unserer Dialekte geht. Er ist einer der Erfinder der «Dialäkt-Äpp»: Das ist jenes Programm für Smartphones, in das man eingibt, wie man einige Wörter ausspricht, worauf es einem sagt, woher man kommt. Weil die App interaktiv ist, kann jede Nutzerin, jeder Nutzer auch selber Sprachaufnahmen machen und diese für Forschungszwecke zur Verfügung stellen.

So sind in den letzten 3 Jahren über 18'000 Aufnahmen von rund 3'000 Usern aus 452 Orten der Deutschschweiz zusammengekommen. Aufnahmen, die Adrian Leemann daraufhin untersucht hat, wie sich die Sprechgeschwindigkeiten in unseren Dialekten unterscheiden.

Frauen sprechen langsamer als Männer

Vergleichbare Forschungen gibt es bereits für andere Sprachen: Neuseeländer zum Beispiel sprechen pro Minute rund 30 Silben mehr als Amerikaner. Auch innerhalb des deutschen Sprachraums gibt es grosse Unterschiede, aber nur wenige Untersuchungen, fast gar keine für Dialekte.

Immerhin weiss man, dass Deutschland tendenziell schnell spricht, Österreich langsam und die Schweiz irgendwo dazwischen liegt. Was überall gilt: Frauen sprechen langsamer als Männer. Vielleicht, weil sie vorsichtiger sind? Oder weil sie mehr auf die Wirkung ihrer Worte achten? Antworten gibt es bloss ungefähre.

Schnellsprecher und «Lamaaschis»?

Adrian Leemanns jüngste Studie gipfelt in einer Sprechgeschwindigkeits-Karte für die Deutschschweiz, auf der manche Stereotype bestätigt werden (vgl. Karte): Der Westen spricht langsam (grün; je heller, desto langsamer), der Osten und der Nordwesten sprechen eher schnell (blau; je dunkler, desto schneller). Es zeigen sich aber auch Überraschungen.

Zur Person

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Dr. Adrian Leemann. Sprachforscher mit Schwerpunkt in Dialekterkennung und forensischer Phonetik. Derzeit ist er «Visiting Researcher» am Phonetischen Labor des Department of Theoretical and Applied Linguistics der Universität Cambridge, England.

Etwa, dass der grösstenteils ländliche Thurgau deutlich mehr Sprechtempo hat als Bern und seine Agglomeration. Dass Städter Schnellsprecher seien im Vergleich zu den «Landeiern», ist also nichts als ein falsches Vorurteil. Für Adrian Leemann selber lag die Überraschung in der Zentralschweiz: «In den Kantonen Obwalden, Glarus, Uri, Schwyz wird fast gleich langsam gesprochen wie in Bern, nur haben diese Innerschweizer Dialekte, im Gegensatz zu Berndeutsch, nicht den Ruf, langsam zu sein.»

Äpfel mit Birnen vergleichen?

So weit, so gut. Aber was wurde denn überhaupt verglichen? Zürcher und Berner sprechen «Züri» kurz aus, Basler dehnen die erste Silbe – «Züüri». Das wäre also kein gutes Vergleichswort fürs Sprechtempo. Ausserdem haben zum Beispiel aus dem Kanton Zürich über 600 Menschen Sprachdaten geliefert, aus Uri nur 15, und von diesen 15 waren 70 Prozent Männer.

In Zürich dagegen war der Männeranteil 53 Prozent. Alles Faktoren, welche bei der Auswahl der untersuchten Wörter, bei der Messmethode und bei der Auswertung der Resultate mitberücksichtigt werden mussten. Die Karte ist auf diese Faktoren hin angeglichen.

Extrempositionen Wil und Langenthal

In einem Vergleich aller Ortschaften mit mindestens 100 Sprachaufnahmen kommt Wil SG als der absolut schnellste Ort heraus. In Langenthal BE sind die langsamsten Sprecherinnen und Sprecher zuhause. Aber was heisst das? Ist schnell gut, weil man in weniger Zeit mehr sagen kann? Oder ist langsam gut, weil weniger Worte tendenziell besser abgewogen sind?

Darüber will die Studie natürlich nichts sagen, es geht Adrian Leemann nicht um Rankings und Bewertungen, wie er betont: «Am Ende des Tages ist es eine Frage des Interesses am Menschsein, an den Unterschieden, wie wir miteinander kommunizieren.»

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