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Sheila Heti: Ich will keine Kinder
Aus Sternstunde Philosophie vom 31.03.2019.
abspielen. Laufzeit 56 Minuten 22 Sekunden.
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Interview mit Sheila Heti «Für die Gesellschaft gilt Kinderlosigkeit als Mangel»

Die kanadische Autorin spricht darüber, weshalb das Attribut «kinderlos» nur bei Frauen etwas Negatives ist.

«Kinder bekommen oder nicht?», ist immer noch eine der zentralen Fragen im Leben vieler Frauen. In ihrem neusten Roman «Motherhood» geht die kanadische Autorin Sheila Heti genau diesem Thema nach. Und lotet im Stil einer autobiographischen Fiktion wieder einmal die Grenzen zwischen sich selbst und ihrem Werk aus.

Sheila Heti

Sheila Heti

Schriftstellerin

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Die kanadische Autorin hat Philosophie und Kunstgeschichte an der Universität Toronto studiert. Seither arbeitet sie als freie Schrifstellerin.

Neben Romane, Essays und Kurzgeschichten verfasste Heti auch schon einen Text für ein Kinderbuch und ein Theaterstück.

Ihr neustes Buch, «Motherhood», dreht sich um die Frage, was es zu gewinnen und zu verlieren gibt, wenn Frau sich entscheidet, ein Kind zu haben.

Ein persönliches Gespräch mit der Autorin über die Frage nach dem Kinderkriegen, dem Symbolbild Mutter und weshalb die Frage für Männer weniger wichtig scheint.

SRF: Sheila Heti, Sie wollen keine Kinder. Wieso eigentlich?

Sheila Heti: Ich habe nie einen Kinderwunsch verspürt. In meinem Buch sagt mein fiktives Ich: «Hätte mir keiner etwas über die Welt erzählt, hätte ich Liebhaber, Freundschaften, die Kunst erfunden.» Mir wäre aber nie in den Sinn gekommen, das Kinderkriegen zu erfinden.

Hunderte Jahre Feminismus konnten nicht erreichen, dass Kinderlosigkeit etwas Positives ist.

Ich denke immer, es ist ähnlich wie mit der sexuellen Orientierung. Ich bin heterosexuell und die Vorstellung, mit einer Frau zusammen zu sein, weckt in mir nicht das gleiche Verlangen. Ähnlich ist es mit dem Kinderkriegen: Es klingt nichts in mir an.

Können Sie aber nachvollziehen, dass für viele Menschen Kinder etwas sind, das dem Leben Sinn und Tiefe gibt?

Ja, natürlich verstehe ich das. Mir gibt das Schreiben etwas Fassbares, dem ich mich zuwenden kann, etwas, das ausserhalb von mir ist. Also etwas Ähnliches wie ein Kind. Ich kann mir auch nicht vorstellen, nichts zu haben. Ich denke, wir Menschen brauchen etwas, das der Mittelpunkt von dem ist, was wir sind.

Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Frauen, die keine Kinder wollen, etwas Bedrohliches an sich hätten. Und dass kinderlose Frauen für viele nicht als «ganze» Frauen gelten.

Ich habe den Eindruck, die Begriffe Frau und Mutter sind immer noch stark miteinander verbunden. Für eine Frau, die nicht Mutter ist, haben wir höchstens negative Stereotypen wie die Hexe, die böse Stiefmutter oder die Hure.

Eine kinderlose Frau hat den gleichen Stellenwert wie ein arbeitsloser Mann.

Vor allem, wenn sie unfruchtbar ist, scheint mit ihr etwas nicht zu stimmen. Hunderte Jahre Feminismus konnten also nicht erreichen, dass Kinderlosigkeit etwas Positives oder Interessantes ist. Es gilt als Mangel.

Im Kontrast dazu wird aber immer noch der Mythos der aufopferungsbereiten und hingebungsvollen Mutter kultiviert.

Auf Instagram wird die Mutterschaft tatsächlich zu einem mythischen Bild hochstilisiert. Doch das ist sie nicht. Man bedient einfach die Symbolik, laut der Mutterschaft etwas Herziges und Einfaches, etwas Grosszügiges und Hingebungsvolles ist. Doch wie wir wissen, entspricht keine menschliche Tätigkeit diesem Bild, vor allem, wenn sie so stressig ist wie die Elternschaft.

Apropos: Ihr Buch heisst «Mutterschaft», nicht «Elternschaft». Wieso scheint denn für Männer die Frage nach dem Kinderkriegen immer noch weniger wichtig?

Weil die Kinderfrage – aus welchem Grund auch immer – nicht das Zentrum der männlichen Identität ist. Und wenn ein Mann kinderlos ist, wird er deswegen nicht anders beurteilt.

Audio
Buchkritik: Motherhood – Sheila Heti
aus Kultur-Aktualität vom 19.02.2019.
abspielen. Laufzeit 4 Minuten 58 Sekunden.

Im Buch sagt Miles, der Freund der Protagonistin, zu ihr: Eine kinderlose Frau hat den gleichen Stellenwert wie ein arbeitsloser Mann. Und das stimmt: Mit beiden hat man ähnlich viel Mitleid.

Das Gespräch führte Yves Bossart.

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