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Gesellschaft & Religion Ja! Nein! Äh, Jein! – Über unsere Unfähigkeit zu entscheiden

Zwei neue Bücher befassen sich mit der Qual der Wahl in der heutigen Welt: Entscheidungen sind Zumutungen, besagt «Die Tyrannei der Freiheit». Und «Generation Maybe» fragt, wieso wir uns nicht mehr festlegen wollen. Warum sind wir mit der Freiheit, die uns das Leben bietet, derart überfordert?

In London soll es ein nobles Restaurant geben, in dem der Küchenchef gegen einen Aufpreis für den Gast das Essen aussucht. Ihm die Entscheidung abnimmt. Klingt absurd? Nein, findet die slowenische Philosophin Renata Salecl in ihrem neuen Buch «Die Tyrannei der Freiheit – Warum es eine Zumutung ist, sich dauernd entscheiden zu müssen.»

Denn wer sich falsch entscheidet, ist unglücklich. Und selbst wer zufrieden ist, bleibt unsicher, denn man hätte es ja noch besser treffen können. Im Spätkapitalismus würden Lebensentscheidungen auf die gleiche Weise getroffen wie Konsumentscheidungen, schreibt Salecl. Wir sind auf der Suche nach dem richtigen Leben so wie nach der richtigen Haarspülung.

Partnervermittlung wie Einkaufszettel

Buchhinweise

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  • Renata Salecl: «Die Tyrannei der Freiheit». Aus dem Englischen von Yvonne Badal. Blessing Verlag
  • Oliver Jeges: «Generation Maybe. Die Signatur einer Epoche.» Verlag Haffmans & Tolkemitt

Saleci zeigt an vielen Beispielen, wie sehr wir in unseren Entscheidungen unbewusst gesteuert werden, ganz egal, worum es geht.

Partnerschaftsvermittlungen im Internet kämen daher wie ein Einkaufszettel. Und wer oder was allzu gebraucht und beschädigt ist, wird ersetzt. Wir konsumierten alles, auch uns selbst, bis zum Burn-out, kritisiert die Philosophin.

Die Wahlfreiheit gibt uns nur scheinbar Macht über das eigene Leben. Und ist es nicht so, fragt die Autorin, dass die Prämisse frei entscheiden zu können, wer wir sein wollen, inzwischen gegen uns arbeitet? Uns zunehmend beklommener und habsüchtiger macht?

Die reinste Angstspirale

Wir arbeiten so hart an unserer Selbstperfektionierung, dass Versagensängste überall lauern, «die reinste Angstspirale», nennt Salecl das. Menschen machen ihre Entscheidungen davon abhängig, was im Blick der anderen Wohlwollen oder Verachtung findet. Es gilt: Je mehr Wahlmöglichkeiten, desto mehr steigt der Erfolgsdruck.

Salecl zitiert psychologische Studien: Menschen sind demnach zufriedener, wenn sie weniger Wahlmöglichkeiten haben. Möglicherweise suchen wir deshalb neue Gurus, die uns sagen, wo es lang geht. Das wird dann gefährlich, wenn politische Wahlen anstehen.

Eine Generation voller Widersprüche

Video
Im Supermarkt der Möglichkeiten
Aus Kulturplatz vom 12.09.2012.
abspielen. Laufzeit 5 Minuten 36 Sekunden.

Eine Generation, die oft erst gar nicht mehr wählen geht – die sich nicht entscheiden kann und will, beschreibt auch der deutsche Autor Oliver Jeges in «Generation Maybe». «Wir müssen uns nicht entscheiden, weil uns alle Möglichkeiten zu Füssen liegen», sagt er. Einen dicken SUV fahren und trotzdem auf die Umwelt Rücksicht nehmen? Fixe Partnerschaft kombiniert mit den Vorzügen des Single-Daseins? Sicherheit und gleichzeitig Freiheit? – Kein Problem, glauben die Maybes.

Gerade die Widersprüche der Generation Maybe findet Jeges spannend. «Meine Generation steht sehr auf Ästhetik, deswegen mögen wir schöne Gadgets, machen uns aber wenig Gedanken über die Produktionsbedingungen.» Trotzdem würden sie versuchen, sich ökologisch und ethisch korrekt zu verhalten, egal, wie utopisch das klingt.

Die Zwischengeneration

Die Generation der ab 1980 Geborenen weiss nicht mehr, welchen Weg sie gehen soll, weil alles möglich ist. «All die Dinge machen uns das Leben leicht, trotzdem wissen wir nicht so recht, was wir mit dieser Leichtigkeit anfangen sollen», so Jeges.

Was hatten wir schon an Generationen: Etwa «Y», «Praktikum» oder «MTV» – diese Kategorisierungen würden zeigen, dass wir eine Ego-Generation sind, die sich nur Gedanken um sich selbst mache, so Jeges. Darunter leiden andererseits die Allgemeinheit, Ideale und Werte. Und wie wird die Generation Maybe in Erinnerung bleiben? «Ich glaube so als Brücke, als Zwischengeneration, die für nichts wirklich steht.»

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