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Journalist Can Dündar «Wir sind von den europäischen Regierungen verraten worden»

Als Spion inhaftiert, als Verräter beschimpft, an Leib und Leben bedroht: Der türkische Journalist Can Dündar lebt seit einem Jahr im deutschen Exil. Darüber schreibt er im Buch «Verräter».

SRF: Für wen haben Sie dieses Buch geschrieben?

Can Dündar: In zehn, zwanzig Jahren wird man mich fragen, was ich während dieser Jahre der Diktatur getan habe. Ich habe diese Geschichte geschrieben.

Zur Person

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Can Dündar (*1961) ist ein türkischer Journalist, Dokumentarfilmer und Buchautor. 2015 bis 2016 war er Chefredaktor der oppositionellen Zeitung Cumhuriyet. 2016 hat ihn ein Gericht wegen Veröffentlichung von Staatsgeheimnissen zu mehreren Jahren Gefängnis verurteilt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Seit 2016 lebt er in Deutschland.

Das letzte Buch ist meine Geschichte im Gefängnis und «Verräter» ist die Geschichte meines Exils. Ich tue also etwas für mein Land. Ich bin das Gegenteil eines Verräters.

Ich will mir selber und meiner Familie, meinen Freunden, meiner Zeitung und meinem Land zeigen, was ich hier tue. Ich will, dass man weiss, dass ich für die Türkei und ihre Zukunft kämpfe. Es ist eine Art Brief an meinen Sohn.

Warum nennen Sie das Buch «Verräter»?

Das ist der Begriff, den Erdogan für seine Gegner benutzt. Er nennt auch mich so. Der Mann, der vor dem Gerichtsgebäude auf mich schoss, rief «Verräter!». Den Begriff wollte ich den wirklichen Verrätern entgegenhalten.

Wenn der Geheimdienst eines Landes heimlich und illegal Waffen an ein Nachbarland verkauft, kann man nicht den Journalisten, der darüber berichtet, einen Verräter nennen, sondern nur die, die das tun.

Es gibt eine Art Hexenjagd gegen Oppositionelle.

Sie sind seit 13 Monaten im Exil. Wie geht es Ihnen dabei und was tun Sie konkret?

Es ist schwierig im Exil zu leben als Autor und Journalist, weit weg von meinem Land, meiner Familie und meiner Zeitung. Ich muss auch in einem Land wie Deutschland, in dem es sehr viele Erdogan-Anhänger gibt, vorsichtig sein. Doch ich muss weiterkämpfen.

Ich versuche mein Bestes zu geben, meine Freunde im Gefängnis zu unterstützen und ihnen eine Stimme zu geben. Dazu habe ich die Internetplattform «Özgürüz» gegründet, die aus der und für die Türkei berichtet.

Sie waren Chefredaktor der grössten türkischen Tageszeitung. Jetzt betreiben Sie eine Internetplattform. Ist das nicht ein kleiner Kulturschock?

Das war nicht meine Entscheidung. Wenn dich die Regierung unterdrückt und alles zensiert, was du schreibt, musst du neue Wege finden, dein Publikum zu erreichen. Das Internet ist eine Möglichkeit.

Gleichzeitig sind soziale Medien gefährlich, weil die Angriffe gegen uns heftig sind. Wir versuchen, uns davon nicht beeinflussen zu lassen.

Menschen demonstrieren in Istanbul gegen die Verhaftung von Journalisten.
Legende: Trotz Repression seitens der Regierung demonstrierten Aktivisten für die Journalisten der Zeitung Cumhuriyet. Keystone

Wie waren die ersten Tage in Deutschland für Sie? Nicht aus politischer, sondern aus kultureller Sicht.

Es war schwierig für mich ohne Deutschkenntnisse, ohne das Land zu kennen, dazu als jemand, der in einen Konflikt verstrickt ist und getrennt von der Familie lebt.

Ich musste alle meine Papiere, wie den Führerschein, Krankenversicherung, Arbeitserlaubnis und den Pass neu organisieren, einfach alles. Es ist eine Herausforderung, in einem neuen Land, mit neuer Sprache und neuen Freunden. Man fängt nochmals von vorne an.

Buchhinweis

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Can Dündar: «Verräter». Hoffmann und Campe, 2017.

Wie ist es jetzt, nach mehr als einem Jahr?

Ich fühle mich schon wohler hier. Ich mag die Stadt, das Land und ich habe Freunde hier. Sie unterstützen mich und unseren Kampf für die Freiheit. Ganz ehrlich, ich bin glücklich, denn ich kann von Deutschland aus etwas bewegen.

Wie ist die Situation in der Türkei?

Es gibt eine Art Hexenjagd gegen Oppositionelle. Die Medien sind von Erdogan-Anhängern umringt, und jeder, der etwas gegen die Regierung schreibt, riskiert seine Freiheit, sein Leben und das Leben seiner Familie.

Nicht nur für die Presse ist es gefährlich. Es reicht schon, Akademiker oder Schriftsteller zu sein. Selbst Beamte, Polizisten oder Soldaten leben gefährlich.

Wieso ist gerade in der Türkei die Demokratie in der Defensive? Das Land hat immerhin schon 100 Jahre Erfahrung damit.

Die Demokratie hat eine lange Geschichte bei uns. Es gab aber auch immer ein Seilziehen zwischen Autokraten und Demokraten. Das Antiwestliche und das Westliche, das Traditionelle und das Moderne, das Asiatische und das Europäische – das hielt sich immer in etwa die Waage, führte aber auch zu Konflikten.

Can Dündar verlässt ein Polizeiauto auf dem Weg zum Gerichtssaal.
Legende: Can Dündar verlässt ein Polizeiauto auf dem Weg zum Gerichtssaal. Keystone

Die Türkei hat mehr als 50 Jahre vor den Türen Europas gewartet. Dann taucht Erdogan auf, mit der Idee einer Russland-Partnerschaft oder dem Bündnis mit muslimischen Ländern. Er holte die Unterstützung all jener, die genug vom Warten hatten.

Wir sind bis zu einem gewissen Punkt von den europäischen Regierungen verraten worden. Denn wir kämpfen genauso für Werte wie Demokratie, Freiheit, Presse- und Meinungsfreiheit, gleiche Rechte für Mann und Frau, Trennung von Staat und Religion. Doch wir finden keine europäische Unterstützung. Stattdessen unterstützen die europäischen Regierungen Erdogan, indem sie die Türkei isolieren und damit gewissen muslimischen Ländern und Putin ausliefern.

Erdogan erkaufte sich die Unterstützung und das Schweigen Europas.

Dabei ist Erdogan die Flüchtlingskrise zu Nutzen gekommen.

Ja, Europa brauchte ihn, weil er versprochen hatte, die Flüchtlinge in der Türkei zu behalten. Die europäischen Regierungen unterschrieben dieses schmutzige Abkommen. So erkaufte sich Erdogan die Unterstützung und das Schweigen Europas. Das war enttäuschend.

Europäische Führer inklusive Merkel reisten mehrere Male in die Türkei und sprachen weder den Zustand der Menschenrechte noch den Umstand an, dass Erdogan die demokratische Gesellschaft zerstört. Das ist eine Schande.

Sie haben sich in der Sache in einem offenen Brief an die Bundeskanzlerin gewandt. Ist mittlerweile eine Antwort eingetroffen?

Nein. Ihre Antwort war, dass sie beim nächsten Besuch wieder nichts sagte. Erst als einige Leute mit deutschen Pässen in türkischen Gefängnissen sassen, fing sie an, unsere Position zu verstehen und zu reagieren. Aber das war sehr spät.

Das Gespräch führte Michael Luisier.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 14.12.2017, 9.00 Uhr

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